Hexenopfer
musste Kontakt zu Dallas aufnehmen. Und was willst du ihm sagen?, fragte sie sich. Du weißt nicht, wo du bist.
Genny rollte sich herum, warf die Decke ab und bewegte sich weiter über den kalten, feuchten Höhlenboden. Wie ein kleines Kind, das nicht laufen kann und nur unbeholfen krabbelt, rollte sie sich mehrmals herum, bis sie den Höhleneingang erreichte. Ein Blick in den Himmel sagte ihr, dass es bereits Mittag war. Die Sonne stand hoch über ihr. Sie legte sich flach auf den Rücken und suchte den Bereich draußen ab. Bäume. Bäume. Nichts als Bäume. Sie war irgendwo mitten im Wald, wahrscheinlich auf dem Berg, denn die Gegend hier war durchsetzt mit Höhlen. In der Ferne, nach Osten hin, bemerkte sie eine Lichtung. Denk nach, Genny, denk nach. Kommt dir irgendetwas bekannt vor?
Die Stadt war überfüllt mit aufgescheuchten Menschen, die von Kameraleuten lokaler und überregionaler Fernsehsender gefilmt wurden. Vor dem Gerichtsgebäude liefen Polizeibeamte aus nahegelegenen Städten und FBI-Agenten herum. Jazzy musste sich einen Weg durch die Menge bahnen, die an den Straßenrändern stand. Sie hatte gehört, dass nicht nur Esther Stowe nach wie vor vermisst wurde, sondern auch Genny Madoc aus ihrem Krankenhausbett entführt worden war. Wenn Genny vermisst wurde, warum hatte Jacob sie nicht angerufen? Jazzy hatte versucht, ihn zu erreichen, aber die Leitungen waren besetzt, und als sie es auf seinem Handy probierte, ging die Mailbox an.
Während sie weiterging, fiel ihr die Menschenmenge rings um das Gerichtsgebäude auf. Sie glaubte, einen Blick auf Jamie zu erhaschen, aber als sie noch einmal hinschaute, war er verschwunden.
Nachdem sie sich durch die dicht gedrängten Menschen gekämpft hatte, entdeckte sie Bobby Joe Harte auf dem Parkplatz hinter dem Gebäude. Er bewachte den Hintereingang, der direkt ins Büro des Sheriffs führte. Jazzy sprang ein paar Mal hoch, um die die Menge zu überragen, und rief seinen Namen. Bobby Joe winkte sie zu sich und befahl den Leuten, die ihr im Weg standen, sie durchzulassen.
Bevor sie ihr Ziel erreichte, hielt ihr ein Fernsehreporter sein Mikrofon vor die Nase. »Miss, darf ich fragen, wie Sie heißen?«
»Gehen Sie mir aus dem Weg«, warnte Jazzy ihn.
»Wie kommt es, dass der Deputy da drüben Sie durchlässt, obwohl er alle anderen fernhält?«, wollte der Reporter wissen.
»Wer zum Teufel sind Sie, und was haben Sie in Cherokee Pointe zu suchen?«, blaffte Jazzy ihn an.
»Whit Conners vom WHRB in Chattanooga.«
»Tja, Whit, scheren Sie sich zum Teufel und sagen Sie Ihrem Kameramann …« – sie deutete mit dem Zeigefinder auf den stämmigen, einsneunzig großen Kerl, der die Kamera direkt auf sie gerichtet hielt – »… er soll aufhören, mich zu filmen, sonst nehm ich ihm sein Spielzeug ab und zertrete es.«
»Sind Sie so etwas wie eine Zeugin?« Whit wollte einfach nicht aufgeben. »Die Menschen im gesamten östlichen Tennessee interessieren sich dafür, was hier in Ihrer kleinen Stadt passiert. Wie wir hörten, hat es vor kurzem drei grauenvolle Morde gegeben, und jetzt werden erneut zwei Frauen vermisst.«
»Das ist Jazzy Talbot«, rief eine Stimme aus der Menge. »Ihre beste Freundin ist unsere Hellseherin im Ort, genau die, die heute Morgen aus ihrem Krankenzimmer entführt wurde.«
Jazzy gelang es, die Reihe der Reporter, die sich vor Bobby Joe aufgebaut hatten, zu durchbrechen und Whit Conners abzuhängen.
»Was ist hier los?«, wollte Jazzy von Bobby Joe wissen. Sie rief so laut, damit er sie über dem Stimmengewirr hörte.
»Gehen Sie rein und sprechen Sie mit Jacob«, sagte Bobby Joe. »Wir hatten keine Zeit, Sie anzurufen. Das ging alles so schnell.«
»Sagen Sie mir nur eins – wird Genny vermisst? Wurde sie aus dem Krankenhaus entführt?«
Bobby Joe nickte.
Jazzy hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Der Mörder hatte Genny! Oh Gott! Oh Gott!
28
»Willst du irgendwohin, mein Schatz?«
Genny schaute zu dem Mann auf, der über ihr aufragte, ein böses Lächeln auf seinem hübschen Gesicht. Ihr Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Dallas und Jacob hatten ihn zwar auf ihre Liste der Verdächtigen gesetzt, hatten jedoch die Möglichkeit, dass er der Mörder war, nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Genny glaubte ihn zu kennen, hatte gedacht, er sei ihr Freund, und war tatsächlich überzeugt gewesen, dass er sie liebte. Unter Verwendung seiner eigenen hellseherischen Fähigkeiten, obwohl sie begrenzt waren, hatte er es
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