Hexer-Edition 01: Die Spur des Hexers
Stunde, als Michael ihm zu Essen gebracht hatte, war ein schmaler Lichtstreifen hereingefallen, und er hatte eine Ratte davonhuschen sehen; ein fettes, struppiges Tier, dessen Augen ihn voller stummer Bosheit angestarrt hatten, bevor es lautlos davontrippelte. Aber es war da. Er spürte seine Anwesenheit. Und seine Blicke. Es schlich beständig um ihn herum, in kleiner werdenden Kreisen. Wenn es ihn berührte, würde er es töten. Er hasste Ratten.
Andara vertrieb den Gedanken an die Ratte und versuchte, sich auf näher liegende – und wichtigere – Dinge zu konzentrieren. Aber seine Gedanken drehten sich im Kreis, wie seit dem Moment vor vier oder fünf Stunden, in dem Necron ihn hierher hatte bringen lassen. Er erinnerte sich kaum mehr an die Zeit, die dazwischen lag. Sie hatten ihn gezwungen, etwas zu trinken – eine bitter schmeckende, ölige Flüssigkeit, von der ihm übel geworden war und bei der es sich nicht – wie er im allerersten Moment gefürchtet hatte – um Gift handelte, die aber seine Gedanken wirr und seine Bewegungen ziellos und matt hatte werden lassen. Irgendeine Droge. Welche Wirkung sie hatte, wusste er nicht; aber er hatte das Gefühl, dass er es herausfinden würde; schneller und drastischer, als ihm lieb war.
So sehr er sich auch den Kopf zermarterte – es schien keinen Ausweg aus dieser Falle zu geben. Dabei war er nicht einmal gefesselt. Michael hatte ihn binden wollen, aber Necron hatte nur höhnisch abgewunken. Er war seiner Sache sehr sicher.
Und das konnte er auch sein. Jetzt, nachdem Andara wusste, mit wem er es wirklich zu tun hatte, war ihm vieles klar geworden: seine Unkonzentriertheit, die unerklärliche Müdigkeit, die ihn überfallen hatte, kaum dass er einen Fuß nach Arkham hineingesetzt hatte, seine plötzliche Mühe, mit gewohnter Schärfe zu denken und zu handeln, sein – im Nachhinein betrachtet – schon fast absurdes Unvermögen, seine ganz speziellen Kräfte einzusetzen, um zum Ziel zu gelangen. Dies alles waren Necrons Waffen. Die Heimtücke. Das Auflauern, das Fallenstellen – darin war er Meister.
Hier also endete seine Flucht, dachte er matt. Eine Flucht, die vor zehn Jahren begonnen hatte, die ihn seine Freunde, seine Frau, zum Schluss noch seinen Sohn gekostet hatte. Sie war vorbei. Necron würde ihn kein zweites Mal entkommen lassen, dessen war er sicher.
Er fragte sich, ob auch H.P. und sein schweigsamer Diener Teil von Necrons Plan gewesen waren, ihn hierher zu locken. Etwas in ihm sträubte sich gegen den Gedanken, und doch erschien er ihm nur logisch – es konnte kein Zufall sein, dass er ausgerechnet hier und jetzt auf die Schatten der Vergangenheit stieß.
Der Gedanke erfüllte ihn mit Zorn. Zorn nicht so sehr auf H.P., denn wenn, dann war auch er nur ein weiteres willenloses Werkzeug in Necrons grausamem Spiel, sondern auf Necron selbst, der Sympathie und Vertrauen zu Fallen werden ließ, wie eine Spinne, die ihre klebrigen Fäden auswarf.
Ein dumpfes, mehrfach nachhallendes Poltern drang in seine Gedanken. Andara sah auf, starrte einen Moment in die wattige Dunkelheit hinein und blinzelte, als die Tür aufgerissen wurde und die hünenhafte Gestalt Michaels als schwarzer Schatten im Rahmen erschien. Das Poltern und Rumpeln hielt an und verklang nur ganz allmählich.
»Kommen Sie mit«, sagte Michael befehlend. Auch seine Worte hallten ein Dutzend oder mehr mal in Andaras Schädel nach; er begriff, dass es die Wirkung der Droge war, die er spürte.
Mühsam versuchte er sich aufzusetzen, aber seine Bewegungen waren unsicher und fahrig; er hatte kaum die Kraft, sich hochzustemmen, und als er ging, hatte er plötzlich Mühe, seine Bewegungen zu koordinieren, so dass er stolperte und hilflos in Michaels muskelbepackten Armen landete. Der schwachsinnige Riese stellte ihn unsanft wieder auf die Füße und stieß ihn vor sich her.
Himmel und Erde begannen sich um ihn zu drehen, als sie das Haus verließen. Er musste länger in dem kleinen Verschlag gewesen sein, als er bisher geglaubt hatte, denn es dunkelte bereits. Der Himmel hatte die unangenehme Farbe von geschmolzenem und noch nicht ganz wieder erstarrtem Blei angenommen. Andara fror. Ihm war übel. Eine große Gleichgültigkeit überkam ihn. Ganz schwach, irgendwo am Rande seines Bewusstseins und so leise, dass er sie kaum verstand, meldete sich eine Stimme, die ihm zuflüsterte, dass es die Wirkung der Droge war, die er spürte. Aber selbst das war ihm mit einem Male
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