Höhenangst
des Tages ist die Wohnung eine friedliche Landschaft. Die Bettbezüge sind geglättet und sauber, die Rollos hochgezogen, um die Sonne hereinzulassen. Am DVD-Spieler blinkt in regelmäßigen Impulsen die rote Standby-Lampe. Ich laufe auf Zehenspitzen ratlos umher, ständig in Versuchung, eines seiner geilen Porno-Magazine unter dem Bett hervorzuziehen. Ich stelle mir vor, wie ich mir einen berauschenden Orgasmus besorge und dabei auf allen vieren ausgestreckt auf dem Küchenboden liege. Stattdessen beiße ich mir auf die Lippen und grabe meine Fingernägel noch fester in meine Handflächen.
Lass es , klingt seine Stimme in meinen Ohren. Brich den Zauber nicht.
Ich weiß, dass alles Teil eines Spiels ist. Also warte ich und merke, wie sich die Vorfreude in mir aufbaut. Wie Gewitterwolken an einem schwülen Sommertag.
Ich schaue aus dem Fenster, ohne zu weit heranzutreten. Wir wohnen im fünfzehnten Stockwerk, und ich leide seit ewig an Höhenangst. Ich schaue gern den vorbeiziehenden Wolken nach, schaue aber nicht nach unten. Alles sieht so klein und so weit entfernt aus. Es ist besser, wenn ich meine Blicke über das Interieur unserer Wohnung schweifen lasse und alle Details auswendig lerne. Die Wände sind 20 Schritte voneinander entfernt. Die Decke ist ein wenig höher, so dass ich sie nicht erreichen kann, selbst wenn ich mich auf die Zehenspitzen stelle und mich dabei platt an die Wand presse. Ein Hochhaus mit einer niedrigen Decke – was für eine verrückte Idee. Aber die Wohnung ist luxuriös, von Licht durchflutet und mit polierten Holzböden. Er hat sie für mich bewundernswert teuer mit edlem Mobiliar und großen Bildern eingerichtet. Nur das eiserne riesige Bettgestell ist vielleicht nicht für Ästheten. Aber es ist ein guter Anker für Handschellen oder Stricke. Ich weiß es. Ich kenne jeden Zoll.
In dem Haus können wir unsere dunkelsten Begierden und Wünsche ausleben. Es ist absolut privat, absolut intim. Wir beiden umkreisen uns wie Monde, voneinander angezogen wie von der Anziehungskraft der Erde, und das Haus ist der Planet, um den wir uns drehen.
Wir besitzen einen Schrank voller Stricke, Peitschen und anderer Geheimnisse. Einen Kühlschrank, gefüllt mit Eiswürfeln, Cremes und Kamerafilmen. In unserer Dunkelkammer entwickeln wir die Filme, für die wir verhaftet werden könnten. Unsere Regale sind vollgestopft mit Geschichten anderer obsessiver Lover: Nin, Bataille, Miller. Er hat mir Filme mitgebracht, die wir uns zusammen in fesselnder Stille anschauen. Wir sind zu den entferntesten Enden unserer Vorstellungskraft gereist und haben dabei innere Landschaften entdeckt, finster und entwicklungsfähig. Herrliche Gegenden.
Vielleicht denkst du, ich sei verrückt, mich in einem so zivilisierten Käfig einsperren zu lassen. Aber der Verstand ist ein eigenwilliges Ding. Schwer zu definieren. So kann Begierde unvorstellbare Formen annehmen, wie ein Wesen in einem Angsttraum, das uns in verschiedenen Gestalten heimsucht. Der besondere Geschmack des Traums bleibt in deinem Mund haften; sein scharfer Geruch. Aber die Konturen verwischen, bis du nur noch auf eine bizarre, fremdartige Darstellung starrst. Wie diese hier.
Dieses Arrangement. Unsere eigentümliche Verabredung. Die Wege, die er zurücklegt, um mich zu ernähren und gesund zu erhalten. Und was mit mir passiert ist, die ich in diesen Räumen herumlaufe, immer hin und her, zwischen Schlafzimmer, Küche und Wohnzimmer. Wie meine Welt geschrumpft ist und sich verändert hat; von einem unbekümmerten fröhlichen Abenteuer zu diesem sicheren, abgeschlossenen Ort. Den ganzen Tag gefangen, allein zwischen den Möbeln und darauf wartend, dass er zurückkommt. Dabei verfolgen mich die Gedanken an ihn wie erotische Dämonen. Fiebernd, gespannt, sturmreif.
Am Morgen war ich davon aufgewacht, dass die Tür hinter ihm beim Weggehen zuschlug. Ich lag im Bett und dachte an all die Jungs, mit denen ich nicht geschlafen hatte. Mit Lichtgeschwindigkeit zogen die Erinnerungen aus meiner Teenagerzeit an mir vorbei, all die verrückten, fantastischen Ängste: Würde er meine Hand halten? Würde er mich begrabschen? Irgendwie sind in der Erinnerung alle doch immer perfekt. Diese unbekümmerten Beziehungen, die nie wirklich stattgefunden haben. Ein Blick, ein bestimmtes Lächeln in seinen Augen. Oder wie mein erster Freund geflissentlich vermied, mich anzusehen.
Wir hatten stundenlang Kaffee getrunken und Zigaretten gepafft, bis wir fast daran erstickten,
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