Zeitbombe Internet
1. Warum die Bombe tickt
Es ist ein später Sommernachmittag in Ludwigshafen, als im Kulturzentrum »dasHaus« der Glaube an das Internet zerbricht. Die Sparkasse Vorderpfalz hat die Unternehmen aus der Region gebeten, ein paar Vertreter zu einer Informationsveranstaltung zu entsenden, und nun winken Platzanweiserinnen in Sparkassen-Rot-Weià die Gäste in einen halb verdunkelten Saal. Einige sind in Anzügen gekommen, die Mehrzahl in legerem Sommerlook. Auf der Rednertribüne stehen tragbarere Computer, hübsch mit Strahlern beleuchtet und verbunden durch ein Kabelgewirr.
Optisch betrachtet, könnte hier gleich die Elektronikband »Kraftwerk« auftreten. Tatsächlich aber klettert ein pausbäckiger Biedermann Ende dreiÃig aufs Podium, ruckelt an seiner Krawatte, setzt ein gewinnendes Grinsen auf und macht sich an einem der Computer zu schaffen. »Wir begrüÃen Götz Schartner«, spricht ein Sparkassenverteter ins Mikrofon. »Hacker im Dienste der Industrie.« Der Vortragsredner übernimmt das Podium und sagt: »Guten Tag, ich komme von der Firma 8com aus Neustadt an der WeinstraÃe.«
Nein, das wird nichts mit dem Elektronikkonzert. Aber trotzdem ein unterhaltsamer Nachmittag.
Das Publikum lacht nervös, als Götz Schartner zur Einstimmung ein Verzeichnis der Smartphones im Raum an die Wand projiziert â Geräte, die in den Hosen-, Westen- und Handtaschen seines Publikums stecken. Er verliest Typbezeichnungen (»Da hat jemand ein Nokia N97, damit kann man tolle Sachen machen«), er verliest Namen der Besitzer. »Da haben wir zum Beispiel einen Ralph im Publikum. Wer ist Ralph?« Irgendwer hat sein Telefon »Sexymama« genannt. Die Platzanweiserinnen, die eben noch gelangweilt in der vorletzten Reihe Platz genommen hatten, kichern.
Der Vortragsredner, der sich vor vielen Jahren selber das Hacken beigebracht hat und heute von Beratungsjobs und solchen Vorträgen lebt, reiÃt Witzchen, führt Kunststückchen vor, präsentiert routiniert seine Pointen. Aber eigentlich wird sein Vortrag von Minute zu Minute ernster. Schartner führt vor, wie man bei manchen Telefonmodellen »mit einfachen Tricks« die ganze Liste der empfangenen SMS-Nachrichten lesen kann, unbemerkt und aus sicherer Entfernung. Er führt vor, wie man ein Blackberry-Smartphone in eine Wanze verwandelt, die sämtliche Gespräche aufzeichnet und über das Netz an Schartner verschickt. Einem Freund, erzählt Schartner, habe er einmal ein Video über seinen Gesichtsausdruck beim Autofahren geschenkt. »Der hatte sein Kamera-Telefon immer so praktisch am Armaturenbrett festgemacht.«
Schartner führt vor, wie man auf der Webseite eines Onlinehändlers einen Satz Cocktailflaschen bestellt, aber kurz vor dem Bezahlen eigenmächtig den Preis herabsetzt. Von 35 Euro auf 2 Euro pro Stück. »Wenn ich jetzt wirklich die Bestellung aufgeben würde, wäre das strafbar«, warnt Schartner. Er erzählt vom Chefingenieur einer deutschen Firma, der viel zu spät herausfand, dass alle Konstruktionspläne auf seinem Rechner laufend und automatisch an unbekannte Empfänger im Internet verschickt wurden. Schartner erzählt von Bankdiebstählen. Von Datenklau durch Spione in Russland und China. Von einem Steuerberater, der sich an Schartners Unternehmen wandte, weil er von Hackern erpresst wurde: Wenn er nicht bald eine massive Geldsumme überweise, würden alle Steuerdetails seiner Kunden im Netz veröffentlicht. Und die Täter? Internationales Verbrechen. Mafia. Lateinamerikanische Drogenkartelle, »die inzwischen groà im Internet eingestiegen sind«. Finstere Bösewichte, wie sie den braven Geschäftsleuten im Ludwigshafener Bürgerzentrum kaum ferner erscheinen könnten. Aber im Internet sind ja alle mit allen verbunden, über Glasfaserkabel und Kupferdrähte, Richtfunkantennen und Satelliten.
Als die Informationsveranstaltung der Kreissparkasse Vorderpfalz zu Ende geht, kichert keiner mehr. Schartner hat seinen
Zuhörern richtig Angst eingejagt. Er hat eine Welt heraufbeschworen, in der Alltagsgeräte auÃer Kontrolle geraten, in der geheimste Firmendaten in groÃer Gefahr sind. Das ist natürlich Schartners Geschäft. Seine Masche. Später wird er eine Menge Visitenkarten von besorgten Unternehmern einsammeln.
Doch das ändert nichts an der Tatsache: Schartners Geschichten stimmen. Er hat
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