Höhlenangst
Glanz auf sein bleiches Gesicht mit dem rötlichen Bart.
»Was ist denn?«, fragte ich.
Er trocknete sich die Hände an den Jeans und fuhr sich bis zum Knie hinab. »Ich hab’s halt am Knie.«
Ich wog ein Kinderleben gegen einen Meniskus auf. Wahrscheinlich runzelte ich die Stirn. »Am Knie?«
»Es hat keinen Wert, wenn ich nicht wieder raufkomme!«, blaffte er mit reichlich Testosteron im Blut, den Blick in meinen geheftet. »Vor drei Jahren habe ich mir bei einem Sturz mehr Knochen gebrochen, als Sie Namen dafür kennen. Ich hätte mich nicht breitschlagen lassen dürfen, hier heraufzukommen. Aber ich habe halt gedacht, es ist ein Fehlalarm.«
»Na gut«, sagte ich, »dann gehe ich eben runter.«
»Sie? Können Sie das denn?« Auf seinen gegerbten Lippen erschien das Lächeln, das auf Männerlippen erscheint, wenn eine Frau beispielsweise behauptet, sie könne im Stehen pinkeln.
»Ich kann mich immerhin kontrolliert abseilen«, sagte ich. »Ich habe mal freies Klettern betrieben.«
»Aber eine Höhle ist was anderes als eine Felswand. Sie müssen am Seil auch wieder hochklettern. Können Sie mit den Bescheißerles umgehen?«
»Äh?«
»Den Steigklemmen.«
»Wenn Sie es mir erklären.«
Er schüttelte den Kopf. »Das hat keinen Wert! Das muss man üben.« Er hustete angestrengt und blickte sich zum Höhlenfelsen um. Da stand Janette mit der Kamera. »Es wird schon gehen, irgendwie.«
»Und wer holt Sie hoch, wenn Sie nicht können?«
Sein Blick irrte ins Gebäum ab.
Ich langte nach dem Schlaz. »Und wie zieht man den an?«
Er antwortete nicht.
»He, hallo! Hören Sie mich, Hark?«
Er fuhr zusammen. »Das … das kann ich nicht verantworten.«
»Müssen Sie auch nicht. Das verantworte ich. Wir sollten nicht noch ein paar Stunden warten, bis jemand aus Göppingen kommt.« Ich stieß mir die Schuhe von den Fersen, warf meine Lederjacke ab, unter der ich ein dunkelgraues Herrenhemd trug, und stieg in den Schlaz. Die Jeans durfte ich wohl anbehalten, meine Allroundsneakers zog ich wieder an. »Und der Helm, muss ich den wirklich aufsetzen?«
Ich musste, denn auf ihn war mit einem Band die LED-Lampe aufgezogen. Als ich in den Sitzgurt stieg und Harks Hände an mir herumschnallten, eilte Janette herbei. »Was wird das denn?«
»Ich gehe runter«, erklärte ich. »Er dirigiert mich von oben.«
»Spinnst du?« Immer geradeheraus, die Leute von der Alb.
»Es hat keinen Wert mit meinem Knie, Janette«, sagte Hark. »Ich wäre Julian keine Hilfe, wenn ich nicht wieder aufsteigen kann. Falls er überhaupt da unten ist.«
»Wo soll er denn sonst sein?«
»Er könnte überall sein. Habt ihr denn ein Seil am Höhlenmund gefunden?«
Janette schüttelte den Kopf. »Der Knoten könnte sich gelöst haben. Sehr wahrscheinlich sogar.«
»Oder Julian hat sich einfach nur im Wald verlaufen.«
Deshalb hatte Hark aufgehört, etwas von Verantwortung zu murren. Er rechnete nicht damit, dass ich Julian in der Höhle fand. Da konnte er sich den Test seines Knies sparen. Während ich mir Knie- und Ellbogenschützer überstreifte, befestigte er das Zweikanal-Funkgerät am Geschirr.
»Ein Langwellengerät«, erklärte er. »Es müsste da unten etwas weiter reichen als Kurzwelle. Außerdem hat es eine Babyphon-Funktion. Sie können also plärren, ohne eine Taste drücken zu müssen.« Ich war in der rauen Männerwelt angekommen.
Zum Schluss fädelte er mir ein Seil durch ein längliches blaues Gerät, das mir vorn am Sitz- und Brustgurt hing: der Abseiler der Marke Petzl-Stop. Loslassen!, ermahnte ich mich.
Nun stapfte auch Polizeihauptmeister Rehle vorgeschobenen Bauchs herbei. »Was wird jetz’ au des?«
»Sein Knie«, erklärte Janette.
Der PHM war alt genug, die Existenz von Knien zu kennen. Aber mich kannte er nicht. »Der da, kann der des überhaupt? Eh?« Er hob das Kinn, als wolle er mich damit vors Brustbein stoßen. »Wo klettern wir denn?«
»Klettersportgruppe Elbsandstein«, sagte ich.
Janette blickte mich verwundert an.
»Elbsandstein? Sachsen, eh?« Der PHM stieß mir erneut sein Kinn vor die Brust.
»Die KSG Elbsandstein präpariert jedes Jahr die Felsenbühne von Rathen für die Karl-May-Festspiele. Karl May, den kennt ihr doch hier auch?«, sagte ich, mich übers ›Ihr‹ zum in der Trachtengruppe notwendigen ›Du‹ vortastend.
Heinz lachte. »Na denn, Winnetou, dann zeigsch halt mal, wie’s geht, eh?«
Mirjam Kerner nagte an ihrer pädagogischen Schmallippe und übertrug ihre
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