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Belsazars Ende

Titel: Belsazars Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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1
    Salmon Rosenberg fröstelte.
    Der Wind trieb den Novemberregen in Schleiern über den tristen Rasenplatz am Fuß der Burg.
    Hier hatte ihre Synagoge gestanden?
    Er versuchte sich zu erinnern, aber die blassen Fragmente wollten sich nicht zu einem Bild fügen: die Kerzen, der scharfe Geruch der feuchten Kleider, gleich nebenan seine Schule mit der schweren Tür, die er allein nicht öffnen konnte.
    Vom Haus her mußten sie jene Straße heraufgekommen sein, seine Eltern, seine Schwester und er. Er war ein Kind gewesen, ein kleiner Junge.
    Die Straße war schmal, das rote Steinpflaster brandneu, die Fassaden der Häuser modern und nichtssagend. Welche Häuser hatten damals hier gestanden, wie hatten die Läden ausgesehen? Er wußte es nicht mehr.
    An die Burg konnte er sich erinnern, natürlich.
    So deutlich wie an die lichtlosen Gewölbe – Katakomben hatte sein Vater sie genannt. Er verzog den Mund; die Ironie war ihm erst nach Jahren aufgegangen.
    Aber das war ja später gewesen, fast zwei Jahre später; da war er schon acht.
    Diese Erinnerung war klar.
    Das Warten: eine Nacht, einen Tag und wieder eine Nacht in dumpfer Finsternis, in der selbst die Kinder schwiegen und sich nicht bewegten.
    Und die Angst, die zum ersten Mal greifbar wurde. Sie war immer da gewesen, sein ganzes Kinderleben lang, obwohl keiner darüber sprach; seine Eltern nicht und auch nicht die anderen. Nun bekam sie endlich ein Gesicht.
    Ihr Retter: wie er da vor seiner Mutter stand, in der Katakombennacht, breitbeinig, stumm, ganz nah. Wie sie schließlich ihre Bluse aufknöpfte und den kleinen Beutel, mit Pflaster festgeklebt, von ihrer Brust riß und ihm gab. Ebenso stumm wie er. Der Beutel mit all ihrem Schmuck.
    An ihre Augen konnte er sich erinnern, an ihren Blick.
    Und mit der Erinnerung an ihren Blick war plötzlich ein anderes Bild wieder da. Derselbe Blick in jener Nacht, als sie kamen mit ihren Vorschlaghämmern, ihren Stiefeln, ihren Schnapsfahnen, ihren Fäusten. Die Nacht, in der sie Papa mitnahmen.
    Diese Nacht – deswegen stand er hier, deswegen hatte man ihn geladen; dieser Nacht gedachten sie.
    Hier hatte ihre Synagoge gestanden.
    Sie mußten es wissen, die Menschen hier, mußten wissen, wo ihre Gedenkstätten waren.
    »… ein Kapitel in der Geschichte unserer Stadt, das uns heute noch mit tiefer Scham und Betroffenheit erfüllt..«
    Der Bürgermeister da vorn am Rednerpult war sicher fast zehn Jahre älter als er; der mußte es wissen.
    »… nicht wiedergutzumachendet Schaden..«
    Und der katholische Priester mit dem sanften Gesicht, der jedesmal nickte, wenn er in seine Richtung schaute, war an die Siebzig; der mußte es wissen.
    »Honourable men«, dachte Rosenberg, »so are they all, all honourable men.«
    Er schlug den Mantelkragen hoch und bewegte die Zehen in seinen Schuhen auf und ab, damit das Leben in sie zurückkehrte.
    Hatte er sie gekannt, damals als Junge?
    Die Gesichter sagten ihm nichts.
    Und der große Mann dort neben dem Rednerpult mit dem teuren Mantel – Burberry’s, das sah er von hier aus – der mußte in seinem Alter sein.
    Hatten sie damals miteinander gespielt?
    Salmon Rosenberg fror.

    Heinz Mülders zog die gefütterten Handschuhe an und wickelte sich den Schal zweimal um. Dies’ Jahr war’n se echt gegen ihn; so’n frühen Winter hatten se lang’ nich’ gehabt. Wen’stens ’n paar Stullen hatte der Pfaffe rausgerückt, obwohl mit Alk war ja au’ diesma’ nix gewesen; von wegen Glühwein oder sowat.
    Gesprächskreis: Soziale Randgruppen – Unterstadtpfarre – für Verpflegung ist gesorgt.
    Na ja, wat zu Fressen war ja au’ nich’ schlecht. Un’ wenn de ’n bisken auf Sozialfall markiers’, rückt der Pope scho’ ma’ ’n Mantel raus oder ’n Paa’ Handschuhe un’ so’n Schal wie den hier.
    Im Eingang vom Möbelhaus Rexing fummelte er sich Zigaretten und Streichhölzer aus der Hosentasche. Drei Päckskes Marlboro hatt’ er einsacken können, wie keiner kuckte. Lagen immer genucht von auf ’m Tisch.
    Aber die Streichhölzer waren zu feucht und zündeten nicht. Er blickte sich suchend um – mußt’ doch wer mit Feuerzeuch sein – aber kein Mensch war zu sehen.
    Scheiße, er mußt’ sich wat einfallen lassen. Hinter die Muschel im Forstgarten konnt’ er nich’ mehr lang’ bleiben. Viel zu kalt, un’ die Klamotten immer naß un’ alles.
    Die Alte, bei der er im Frühjahr gepennt hatte, ließ ihn nich’ mehr rein, die dumme Sau.
    Er sammelte den Rotz in seinem

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