Holy Shit
ältere Verkehrsteilnehmer klassifiziert man nicht gerade liebevoll als »Opa mit Hut!« oder schreit gleich: »NICHT WEGSTERBEN, OPA!!!« Es muss ja schnell gehen, weshalb die »Drecksschleicher!«, »Asphaltschnecken!« und »schleichenden Sackgesichter!« in ihren »Juckeltrunschen« nichts zu lachen haben. Man gibt ihnen unaufgefordert den Rat: »Dann bleib doch gleich stehen!«
Im Kampf um den Parkplatz schimpft ein Bayer durchaus: »Schleich di, du Hundling!« Angehupten Autofahrern, die keine Reaktion zeigen, wird entgegengeschleudert: »Bist du taub oder sitzt du auf deinen Ohren, du Arsch?«, was gleichzeitig an das traditionelle Schimpfwort »Arsch mit Ohren!« erinnert. Und das geradezu klassische »Frau am Steuer, das wird teuer!« stirbt wohl so schnell nicht aus. Da können noch so viele Versicherungsstatistiker belegen, dass Frauen vergleichsweise unfallfrei fahren.
»Kamikazeradler« und »Zweiradrambo« trifft rücksichtslose Fahrradfahrer in so mancher Fußgängerzone, dafür fluchen Radler Autofahrern mit lauten und qualmenden Gefährten gern »Blechkutscher!«, »Motoridiot!« oder »Stinkkiste!« hinterher.
Und die Fußgänger? Für die traumverlorenen, unaufmerksamen unter ihnen gibt es im Amerikanischen den schönen Ausdruck »jaywalker«, frei übersetzt »Tölpelgänger«. Ob Fahrradweg oder Stadtautobahn, mancher Fußgänger quert sie unbedacht trotz seiner vollkommenen Verletzlichkeit, auf die alle anderen tunlichst Rücksicht nehmen sollten.
Er istschließlich der einzig Unabhängige unter allen Mobilen, frei von Blech und Motor, nur seinen plötzlich umschlagenden Stimmungen und Richtungsänderungen verpflichtet. Dass diese »Anarchoquerer!« in Deutschland ein Recht auf ihre wirre Fortbewegung haben, soweit sie nicht gegen § 1 der Straßenverkehrsordnung verstoßen oder sich Autobahnen und Zuggleise aussuchen, hat vor Jahrzehnten einer meiner Professoren bis zum Verfassungsgericht durchgestritten. Es sei nicht mit der Menschenwürde vereinbar, sich einer Maschine – in dem Fall einer roten Ampel – zu unterwerfen, wenn mit der Überquerung der Straße niemand gefährdet, behindert oder beeinträchtigt werde. Den Zorn der Autofahrer und Radler auf die »Geh-Hirnis!« mindert das nicht.
Vor fast 50 Jahren sollten Politessen für mehr Höflichkeit im Verkehr sorgen, denn nichts anderes bedeutet ihr Name im Französischen. Allerdings hatte man eher den Eindruck, dass das Gegenteil der Fall war. Frauen in Uniform mögen für Fetischisten erregend sein, mit Parkraumbewirtschaftung und anderen Ordnungsmaßnahmen wurden sie es auch für die Allgemeinheit. Kein Mann schien sich von einer Frau sagen lassen zu wollen, dass er seinen Wagen falsch abgestellt habe. Hätten sie gewusst, dass sich der Begriff »Politesse« der Kombination von »Polizei« und »Hostess« verdankt, sie hätten noch unflätigere Schimpfworte gefunden. Ein Beispiel aus Köln: Ein Geschäftsmann pöbelte eine weibliche Doppelstreife, die ihm ein Knöllchen verpasst hatte, an, dass sie nur einen Sonderschulabschluss hätten, »blöde Tussis« und »Hartz-IV-Empfänger« seien, und eine nannte er noch »du alte Schabracke«. Mit 50 Euro »Schmerzensgeld« für jede kam der Schimpfende noch glimpflich davon.
Aber es gibt im Verkehrsalltag auch viel zu schimpfen, denn manchmal scheinen sich alle verschworen zu haben, einen am Fortkommen zu hindern: Umzugslaster, Baustellen, Abschleppunternehmer, Straßenreinigungsfahrzeuge, die Müllabfuhrmit ihren straßenbreiten LKW, streunende Hunde, kampferprobte Übermütter mit dampfwalzenähnlichem Kinderwagenfahrverhalten, Reisegruppen-Heerwürmer der älteren Generation, Jungesellen- und Jungesellinnenabschiede mit Leiterwagen und Girlanden, Freizeitspaßgefährte im Planwagenstil. Es bietet sich einem ein spannendes und – wenn man mal in Ruhe zuguckt – sehr unterhaltsames Gebiet des Fluchens. Dass es dabei gar nicht unbedingt darauf ankommt, vom verfluchten Verkehrshindernis auf zwei Beinen, zwei oder vier Rädern verstanden zu werden, gehört zu den bemerkenswerten Auffälligkeiten; oft ist es auch besser so (und billiger). Ebenso faszinierend ist, wie sonst friedliche, ruhige, ausgeglichene Menschen im Auto eine Wandlung von Dr. Jekyll zu Mr. Hyde durchmachen – plötzlich entpuppen sie sich als jähzornige, erschreckend aggressive Zeitgenossen, die sich zum Glück, kaum haben sie ihr Verkehrsego abgestreift, wieder in lammfromme Zeitgenossen zurückverwandeln.
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