Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Depeche Mode

Depeche Mode

Titel: Depeche Mode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
Vom Netzwerk:
Einer geht noch, einer geht noch rein,
Ihr seid Wichser, der Schiri ist ein Schwein
     
    15.02.04 (Sonntag)
     
    Als ich vierzehn war und meine eigenen Vorstellungen hatte, was das Leben betrifft, ließ ich mich zum ersten Mal vollaufen. Bis zum Anschlag. Es war heiß, über mir schwammen die blauen Himmel, und ich lag sterbend auf der gestreiften Matratze und konnte meinen Kater nicht mal mit Alkohol bekämpfen, denn ich war erst vierzehn und wußte noch nicht, wie das geht. In den folgenden fünfzehn Jahren gab es mehr als genug Gründe, dieses Leben nicht zu mögen, das Leben war von Anfang an, kaum daß ich mir seiner bewußt wurde, ätzend und undankbar, hat mich von Anfang an in unglaublich miese Situationen gebracht, die, obwohl ich gar nicht dran denken will, lange in Erinnerung bleiben. Hab mich aber trotzdem nie beschwert, klar, alles okay mit meinem Leben, trotz seiner krankhaften Arschigkeit. Wenn nicht gerade mal wieder eine Demarche von außen anstand, paßte mir eigentlich alles – mir paßten die Umstände, in denen ich lebte, mir paßten die Leute, mit denen ich redete, die ich von Zeit zu Zeit traf und mit denen ich zu tun hatte. Im Prinzip störten sie mich nicht und ich sie hoffentlich auch nicht. Was noch? Mir paßte die Menge Knete, die ich hatte, obwohl, nicht die Menge als solche, Knete hatte ich eigentlich nie, mir paßte das Prinzip ihrer Umlaufbahn um mich herum – schon als Kind habe ich festgestellt, daß Geld immer dann auftaucht, wenn man es braucht, und in ungefähr der Menge, ohne die man nicht auskommen kann, normalerweise funktioniert das, funktioniert wirklich, natürlich nur, wenn man sein Gewissen nicht ganz abgeschrieben und sich noch einen Funken Anstand bewahrt hat, also immer die Zähne putzt oder als Moslem kein Schweinefleisch ißt, dann erscheint in seltsamer Regelmäßigkeit ein Engel mit den schwarzen Ärmelschonern eines Buchhalters und Schuppen auf den Flügeln und füllt das Konto auf, so daß man einerseits keine Verrenkungen machen muß, andererseits aber auch nicht ausflippt und sich die Reinkarnation durch den Kauf von Öltankern oder Schnapszisternen vermasselt. Mir paßte das, in dieser Hinsicht verstand und unterstützte ich die Engel. Mir paßte das Land, in dem ich lebte, paßte die Menge Scheiße, mit der es gefüllt war und die mir in den kritischsten Momenten meines Daseins in diesem Land bis etwas übers Knie reichte. Ich verstand, daß ich sehr gut auch in einem anderen, viel beschisseneren Land hätte geboren werden können, zum Beispiel mit rauherem Klima oder autoritärerer Staatsform, wo nicht einfach nur Kotzbrocken an der Macht waren, sondern verdammte Kotzbrocken, die die Macht, die Auslandsschulden und den inneren Obskurantismus einfach an ihre Kinder weitervererbten. Ich war also der Ansicht, es noch ziemlich gut getroffen zu haben, und kümmerte mich deshalb nicht allzuviel um diese Dinge. Eigentlich paßte mir alles, mir paßte das Fernsehprogramm vor meinem Fenster, deswegen versuchte ich, nicht allzuschnell umzuschalten, denn ich hatte schon bemerkt, daß es ziemlichen Ärger, auf jedenfall aber kleine, alltägliche Widrigkeiten hervorrief, wenn ich der um mich montierten Realität auch nur die geringste Beachtung schenkte. Die Realität ist ja eigentlich spannend, aber ganz schön beschissen, wenn du dir nach dem Spiel die Statistik anschaust, deine und ihre Daten analysierst und merkst, daß es von ihrer Seite viel mehr Fouls gab, aber immer nur deine Leute vom Platz gestellt wurden. Wenn mich eins wirklich genervt hat, dann die ständigen aufdringlichen Versuche des Fernsehprogramms, widernatürlichen Geschlechtsverkehr mit mir zu treiben, einfacher gesagt – mich mit Verweis auf meine sozialen Rechte und meine Christenpflicht zu ficken. So verbrachte ich diese fünfzehn Jahre meines erwachsenen Lebens froh und unbeschwert, ohne mich am Aufbau der Zivilgesellschaft zu beteiligen, ohne zur Wahl zu gehen, jeden Kontakt mit dem volksfeindlichen Regime erfolgreich vermeidend, wenn ihr versteht, was ich meine; Politik interessierte mich nicht, Wirtschaft interessierte mich nicht, Kultur interessierte mich nicht, nicht einmal der Wetterbericht interessierte mich, obwohl das vielleicht das einzig Vertrauenswürdige im Lande war, aber mich interessierte er trotzdem nicht.
    Jetzt bin ich dreißig. Was hat sich in den letzten fünfzehn Jahren verändert? Fast nichts. Sogar das Aussehen dieses verfuckten Präsidenten hat sich kaum verändert,

Weitere Kostenlose Bücher