Honecker privat
Schnitzel, Suppen und Brühen in allen Variationen. Fisch und Wild kamen so wenig auf den Tisch wie Spargel und Pilze. Auch Nachspeisen lehnte er ab. Obst nahm er nur in flüssiger Form zu sich. Ich sah ihn nie einen Apfel oder eine Banane essen. Abends gab es den üblichen Aufschnitt, beliebt waren auch Wiener und Bockwurst.
Am Nachmittag machte er sein Nickerchen, und nach dem Abendessen schaute er die Aktuelle Kamera und die Tagesschau, dann ließ er sich noch einen Film zeigen, den er bestellt hatte.
Es kam selten jemand zu Besuch nach Dölln. Seine beiden Töchter schauten gelegentlich mit ihren Familien vorbei, einmal kam auch Schwager Gotthard Feist mit seiner Frau zum Kaffee. Ich merkte, als ich servierte, dass sich beide, Honecker und Feist, über wirtschaftliche Fragen unterhielten, insbesondere über das Bauwesen und die Einstellung der dort Tätigen. Feist nahm kein Blatt vor den Mund und redete von Missständen, was Honecker sichtlich missfiel. Es wurde immer lauter: Feist in seinem verständlichen Unmut, Honecker in seiner Ablehnung. Realismus schien ihm wie Verrat, eine Zustandsbeschreibung galt ihm bereits Kapitulation.
Er war nicht nur menschlich einsam, sondern wurde es zunehmend auch in seinem Urteil. Manche Wahrheit ließ er nicht mehr an sich heran. Auch das eine Erklärung, weshalb er – wie andere Politiker – sein Augenmerk stärker auf die Außenpolitik zu legen begann. Im Ausland bedrängten einen die heimischen Probleme nicht, Auslandsreisen waren (und sind) eine Flucht vor der Innenpolitik.
Im Unterschied zu meinem Chef, der auch ohne Sport schlank blieb, nahm ich jedoch stetig zu. Seit Arbeitsbeginn in Wandlitz 1962 hatte ich in anderthalb Jahrzehnten 25 Kilo zugelegt, weshalb man mich im April 1978 für drei Wochen zur Kur nach Baabe abkommandierte. Der Kampf- und Kurauftrag lautete: Herstellung der maximalen Dienstfähigkeit. Ich hatte ein straffes Programm zur körperlichen Ertüchtigung zu absolvieren. Frühsport, Rad fahren, Wassertreten und Baden in der eiskalten Ostsee. So verlor ich denn einige Pfunde und konnte mich wieder ins Gefecht stürzen.
Der »Gefechtsstand« in Drewitz war natürlich von besonderer Güte. Ich hatte an der Ausstattung mitgewirkt und war auch bei der Übergabe im Sommer 1982 dabei. Das Objekt mitten im Grünen bestand nicht nur aus einem Wohnhaus, sondern besaß neben der obligatorischen Schwimmhalle auch noch einen Kinosaal sowie einen Konferenz- und Restaurantbereich. Zur Anbindung an die Außenwelt war eine Asphaltpiste durch den Wald gezogen worden. Ich beobachtete Honecker bei der Übergabe durch Mielke. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er über dieses Präsent sonderlich erfreut war: Ihm war das mehr als eine Nummer zu groß und die Ausstattung eine Spur zu üppig. Hatte er nicht erst unlängst auf dem X. Parteitag zu mehr Sparsamkeit aufgerufen? »Die Sicherung des Erreichten auf materiellem und kulturellem Gebiet sowie seine Mehrung verlangen einen volkswirtschaftlichen Leistungsanstieg wie nie zuvor. Das heißt, schon die Aufrechterhaltung des bisherigen Standards kostet zusätzliche Mühe«, hatte er 1981 erklärt. Und nun ein solch fürstlicher Bau, auch wenn er in ester Linie für auswärtige Besucher als Gästehaus gedacht war. Und schließlich: Auch die Betriebskosten mussten die DDR-Bürger, oder wie es heute heißt: der Steuerzahler, tragen.Honecker nutzte Drewitz edenfalls nur ein einziges Mal.
In den 90er Jahren wurde um die Residenz eine Ferienanlage mit 36 Häusern errichtet. Der Investor aus Bremen ging pleite, Ende 2011 ersteigerte ein holländischer Touristikunternehmer die 14 Hektar für 3,4 Millionen Euro, und für weitere 900.000 erwarb er weitere umliegende Grundstücke.
Erich Honecker besaß durchaus ein gewisses Gespür für Stimmungen. Er hatte Kenntnis vom Unmut der Anrainer solcher Anwesen. Die sahen nur die dunklen Limousinen durchs Dorf jagen und hinter einem Schlagbaum im Wald verschwinden. Zum Flicken der Schlaglöcher im Dorf fehlte die Schaufel Asphalt, aber bei einer Zufahrt zur Staatsjagd herrschte kein Mangel. Und musste Erich Honecker gleich mehrere solcher Objekte haben und jeder im Politbüro eine eigene Jagd? Und in den Bezirken die 1. Sekretäre, und dann die Ministerien, an der Spitze die für Nationale Verteidigung und für Staatssicherheit?
Hubertusstock, wo er oft auch ausländische, insbesondere Gäste aus der Bundesrepublik begrüßte und bewirtete, hätte genügen können. Unter dem Reetdach
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