Horror Factory 02 - Crazy Wolf: Die Bestie in Mir
weitgehend ausdruckslos:
»Komm rauf.«
Der Türsummer brummt, und ich betrete das verwinkelte Treppenhaus, das noch immer nach Zahnarztpraxis riecht.
Meine nassen Sohlen quietschen auf den Stufen, als ich gemäßigten Schrittes nach oben gehe.
Marcy steht im Lichtschein, der aus ihrer Wohnung fällt.
Sie ist barfuß.
Trägt eine graue Jogginghose und ein dazu passendes Sweatshirt mit Kapuze.
Ihre blonde Mähne ist noch feucht, vom Joggen im Regen oder der Dusche danach.
Dusche, wie eine zweite Nase voll Mandelshampoo verrät.
Marcy schlägt sich die Hand vor den Mund.
Reißt die Augen auf.
»Du bist es wirklich«, sagt sie und überrascht mich erneut, indem sie mir um den Hals fällt und mich fest drückt.
»Der Bart kratzt«, informiert sie mich nach ein paar köstlichen Augenblicken, in denen ich es nur genieße, jemanden zu halten und gleichzeitig gehalten zu werden.
Ich weiß, dass das Marcy gegenüber nicht fair ist, doch ein Teil von mir wünscht sich nun mal, Abby so zu halten.
Ich sag diesem Teil, er soll die Klappe halten.
»Wo warst du?«, fragt Marcy und fährt mir mit beiden Händen ungläubig über den Bart.
So zärtlich, als könnte ich mich bei einer zu festen Berührung wieder in Luft auflösen.
»Weit weg«, antworte ich.
Marcy nimmt meine Hand.
Ich folge ihr in die Wohnung.
*
Der Duft von frischem Kaffee holt mich aus dem Traumland.
Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich mich erinnere.
»Hey, Schlafmütze«, sagt Marcy da auch schon, kommt mit zwei dampfenden Tassen Kaffee ins Wohnzimmer und setzt sich neben meine ausgestreckte Gestalt auf den Rand der Couch.
Ich greife nach der Tasse.
»Morgen. Autsch. Heiß. Danke.«
»Seit wann schnarchst du wie ein Bär?«, fragt Marcy und beobachtet mich an ihrer Tasse vorbei, die sie trotz des heißen Kaffees darin mit beiden Händen umfasst hält.
Genau wie früher, fällt mir auf.
Ich puste auf meinen Kaffee.
Wie früher, wie ihr vielleicht auffällt.
»Nicht eher wie ein Wolf?«, frage ich.
Sie überlegt kurz.
»Nein. Wie ein Bär. Ein alter Grizzly.«
»Damit kann ich leben.«
Wir nippen an unserem Kaffee.
»Wieso hast du darauf bestanden, auf der Couch zu schlafen?«, fragt Marcy schließlich. »Du weißt doch, ich mag frisch geduschte Männer in meinem Bett.«
Hab mit der Frage gerechnet.
»Ich bin nicht lange hier, denke ich«, erwidere ich, darauf hoffend, dass das genug erklärt.
Marcy blickt mich unverwandt an.
»Hätte mich nicht gestört«, sagt sie leise.
Ich erwidere ihren Blick.
»Wann beginnt dein Dienst?«
Marcy kneift die Augen zusammen, lässt mir den Themenwechsel jedoch durchgehen.
»Acht.«
»Arbeitet Rick noch im Club?«
Marcys Gesichtsausdruck verändert sich.
»Was?«, mache ich und rechne mit dem Schlimmsten.
»Er hat deinen alten Job.«
»Oh. Das ist okay, denke ich.«
»Ja?«
»Ja. Kannst du ihm sagen, dass er mich hier anrufen soll?«
»Er wird denken, dass wir …«
»Bitte. Wenn ich in den Club komme, erregt das zu viel Aufsehen. Und sag Rick, dass er die Klappe halten soll. Offiziell bin ich nach wie vor … fort.«
Abby hat zu viele Freundinnen, die noch immer in den Club gehen könnten, und ich will nicht alles auf den Bart setzen.
»Tot, meinst du.«
Marcys Stimme ist ausdruckslos, als sie das sagt, und doch höre ich den Schmerz darin.
Nun weiche ich ihrem Blick aus.
»Sorry.«
Die nächsten Schlucke nehmen wir wieder schweigend zu uns.
»Also schön. Ich sag’s ihm.«
»Danke.«
Sie nickt und nestelt an der Wolldecke herum, die auf meinen Beinen liegt.
Vermeidet es, mich anzusehen.
Wirkt sehr mädchenhaft, und ich erinnere mich erneut.
Daran, dass ich diese Seite einmal genauso mochte wie die selbstbewusste Wildkatze.
»Du bist weg, wenn ich wiederkomme, oder?«
Marcys Frage beendet den gefühlsduseligen Anflug.
Ich bewege den Arm und umfasse ihre Finger.
Drücke sanft ihre Hand.
»Vermutlich.«
»Und du hast was Dummes vor, stimmt’s?«
»Wie man’s nimmt.«
»Tauchst du danach wieder ab?«
»Kommt drauf an, wie’s läuft.«
Marcy nickt, und es wundert mich wirklich, dass sie aussieht, als müsse sie ernsthaft mit den Tränen kämpfen.
Alte Liebe rostet nicht?
Kann sein.
»Tut mir leid«, sage ich deshalb kleinlaut.
Marcy stellt die Kaffeetasse auf den Couchtisch und krabbelt zu mir unter die Decke.
Ich runzle die Stirn, nehme sie aber in den Arm, als ich erkenne, dass es das ist, was sie möchte.
Zum ersten Mal denke ich nicht an Abby,
Weitere Kostenlose Bücher