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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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hatte für die Washington
Post darüber berichtet, aber der Artikel war nie erschienen, damals, als
man auch in Amerika noch an »Herrn Hitlers« Friedensbeteuerungen geglaubt
hatte.
    Das Flugzeug setzte rumpelnd auf und
rollte bis zu dem langen, bogenförmigen Hallenkomplex, der bereits während der
Bauphase vom Volksmund mit dem Spitznamen »Kleiderbügel« belegt worden war. Die
Gesamtlänge der stützenfreien Flugzeughangars betrug 850 Meter, ihre Einfahrtshöhe
12 Meter und die Tiefe 49 Meter. Häufig war er von dort für die Post in
die europäischen Hauptstädte gereist, einmal sogar im September 1938 nonstop in
knapp fünfundzwanzig Stunden mit einer Condor der Lufthansa, einer
viermotorigen Focke-Wulf, nach New York geflogen. – Zentralflughafen Tempelhof.
Der Presseoffizier hatte ihn noch in voller Geschäftigkeit in Erinnerung. Jetzt
standen vor dem Abfertigungsgebäude zwei einsame Transportmaschinen mit den
russischen Hoheitssymbolen.
    Als Captain Miller aus dem Flugzeug
stieg, erkannte er, dass der »Kleiderbügel« doch nicht so ungeschoren
davongekommen war, wie es aus der Kabine den Anschein gehabt hatte. Durch die
entglasten, dem Rollfeld zugewandten Fensterhöhlenreihen bot sich ihm ein
anderes Bild. Die Gebäudefronten aus schweren Steinplatten zeigten sich bis auf
Beschussspuren schwerer MG-Projektile und leichterer Artilleriegranaten zwar
relativ unversehrt, aber im Innern des Halbrunds war alles rauchgeschwärzt.
Offenbar hatten dort heftigste Brände gewütet.
    Drei verbeulte Jeeps mit aufgemaltem
Hammer-und-Sichel-Emblem näherten sich der Ausstiegsleiter vor der
Mittelklappe. Miller hatte als Berichterstatter einmal einen Konvoi mit
amerikanischem Kriegsmaterial aus Alaska nach Sibirien begleitet, und japanische
U-Boot-Torpedos hatten sein Schiff nur um Meter verfehlt. Keiner der russischen
Verbindungsoffiziere war des Englischen mächtig gewesen. Um den Hauptmann, der
nun den amerikanischen Voraustrupp auf dem Rollfeld auf Russisch begrüßte, war
es nicht besser bestellt. Es stellte sich aber während der Fahrt zum
sowjetischen Hauptquartier nach Karlshorst heraus, dass er und der Fahrer, ein
Oberleutnant, fließend Deutsch sprechen konnten. Die Verständigung unter den
Vertretern der beiden Siegermächte klappte in der Sprache ihres vernichteten
Gegners fortan prächtig. In Karlshorst wurde den Amerikanern ein provisorisches
Quartier zugewiesen, die beschlagnahmte Villa einer Nazigröße,
Gau-Reichsarbeitsführer oder so ähnlich. Im Gegensatz zu vielen »Goldfasanen«
hatte er sich nicht nach Westen abgesetzt, sondern wie Goebbels erst seine
Frau, die drei Kinder und dann sich selbst umgebracht.
    Nachdem der offizielle Teil ihrer Mission
erledigt war, lud ein russischer Oberstleutnant Captain Miller und seine
Offizierskameraden ins Kasino des Generalstabs ein. Die Zivilisten aus dem
Flugzeug kamen ebenfalls mit. In der jeweiligen Muttersprache geäußert, wurden
die Trinksprüche auf den Sieg, auf die Waffenbrüderschaft, auf Genosse Stalin
und Genosse Roosevelt bei kontinuierlich steigendem Wodkapegel immer lauter und
auch ohne Fremdsprachenkenntnisse verstanden. Gegen Mitternacht dezimierte ein
Wettschießen der Waffenbrüder die Kristallkugeln der beiden Kronleuchter an der
Kasinodecke. Die Stimmung war ausgelassen. Nur die drei Zivilisten blieben
weiterhin reserviert und hielten sich selbst beim Trinken zurück.
    Als der Wecker Captain Miller am nächsten
Morgen um halb sieben aus dem Schlaf riss, erwachte er wie gerädert. Er hatte
nicht erwartet, dass es im Bad noch fließend Wasser gäbe, und war umso
überraschter, als ein starker Strahl aus der Leitung spritzte. Später erfuhr
er, dass die Russen das Wassernetz in Karlshorst und in anderen von ihnen
eroberten Bezirken schon repariert hatten, während im Zentrum noch die Kämpfe tobten.
    Nach ausgiebigem Übergießen mit etlichen
Eimern Kaltwasser wieder einigermaßen bei klarem Verstand, unternahm Miller mit
den Offizierskameraden unter Führung des russischen Hauptmanns eine ausgedehnte
Rundfahrt durch das zerbombte Berlin. Als sie, von der Reichstagsruine kommend,
zur neuen Reichskanzlei weiterfahren wollten und abbogen durch das
Brandenburger Tor, bat Miller den Hauptmann, vor einem riesigen Stalin-Bild auf
dem Pariser Platz zu halten. Auch das Hotel Adlon war zu einem
rußgeschwärzten Skelett reduziert worden.
    Er sprang aus dem Wagen, schob die Mütze
in den Nacken, wischte sich den Schweiß mit dem Handrücken von der

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