Kurt Ostbahn - Schneeblind
1
EH.
»Servas, Kurtl. Wie is die Lage?« sagt der Trainer, fischt eine Packung Smart aus den tiefen Taschen seines Winterjankers und parkt sie auf meinem Stammtisch beim Quell. Er parkt sie auf dem rotweiß karierten Tischtuch, eine Daumenbreite rechts vom Eßbesteck. Und während er mit einer Hand seine Jacke aufknöpft, kramt er mit der andern ein schwarzes Bic-Feuerzeug hervor, das sodann mit einer ebenso flinken wie resoluten Geste in der engen Parklücke zwischen Besteck und Smart-Packung abgestellt wird. Das Bic paßt perfekt, auf den Millimeter genau in den vorgesehenen Freiraum. Das nenn’ ich Augenmaß.
Und Pedanterie.
»Und selbst?« frage ich den Trainer, nachdem er sich zu mir an den Stammtisch gleich neben dem Kachelofen gesetzt hat. Wer den Trainer so wie ich seit vielen Jahren kennt und mit ihm im Privaten wie auch geschäftlicherseits eng verbunden ist, der weiß nur zu genau, daß er alles andere als pedant, sondern vielmehr ein Freigeist, ein chaotischer Phantast, um nicht zu sagen ein schlamperter Hund ist. Und das mit dem Zurechtrücken, parallel Ausrichten oder Exakt-im-rechten-Winkel-Anordnen von Dingen hab ich immer nur dann bei ihm feststellen können, wenn er sich in seiner kunterbunten Welt massiv von den Mächten des Bösen bedroht fühlte. Von der Finanz, zum Beispiel, von diversen Bezirksgerichten, Schlichtungsstellen und Anwälten, oder von einer seiner Verflossenen, denen es in der Trainerwelt irgendwann einmal zu bunt geworden ist.
»Eh«, sagt der Trainer und schiebt sein Bic in der Parklücke hin und her. Dazu hustet er.
Wie man sieht: Der Trainer ist außerdem kein Freund von großen Worten, wenn es um seine Gemütsverfassung geht. Ansonsten eine Plaudertasche erster Ordnung, ein wandelndes Lexikon der populären Musik und des künstlerisch nicht sonderlich wertvollen Films noch dazu, geht ihm ziemlich der Schmäh aus und er wird wortkarg wie der junge Clint Eastwood, wenn er über sein Innerstes, seine emotionale Befindlichkeit, wie das heutzutag so schön heißt, Auskunft geben soll. Eh, sagt er dann immer. Eh. Oder maximal: Eh ned so schlecht.
Doch auch damit lernt man in den Jahren umzugehen. Trick Siebzehn:
»Krügel oder Seidl, Trainer?«
»Was trinkst’n du?«
»An Tee. Wegen der Stimm. Bei dem Sauwetter.«
»Mit Rum?«
»Gute Frage.«
»Dann nehm ich ein Krügel«, sagt der Trainer.
»Kluge Entscheidung«, sage ich und gebe dem Quell-Poldl ein entsprechendes Handzeichen. Mein Stammgastronom für die erste Tageshälfte und ich sind in Sachen Zeichensprache ein perfekt eingespieltes Team. Vom Herrn Quell und mir könnte sich die amerikanische Profi-Baseball-Liga diesbezüglich noch so allerhand abschauen.
»Und in aller Kürze, bevor die Getränke kommen: Was is das Problem, Trainer?«
»Inwiefern?« fragt der Trainer und raucht sich die erste von ganz vielen Smart Export an.
Komplizierter als ich dachte. Im Normalfall bricht die Bestellung eines kleinen oder großen Bieres das Eis, und der Trainer liefert zumindest einen ersten vagen Hinweis auf die grundsätzliche Beschaffenheit seines Problems. Da kann man dann einhaken, damit kann man Weiterarbeiten. Aber heute: Inwiefern.
»Sieht gar nicht gut aus«, würde Doktor Trash jetzt sagen, der von mir gern in heiklen kriminalistischen Fragen, insbesondere das Serienkillertum betreffend, konsultiert wird. Der misanthrope, der angeblich wirklichen Welt in Ekel abgewandte Cyber-Sherlock aus der Kirchengasse und langjährige Vertraute des Trainers wäre über dessen heutige Gemütsverfassung leicht beunruhigt.
Also bin ich echt besorgt.
»Was is los, Trainer?« sage ich. »Spuck‘s endlich aus!«
Der Trainer seufzt, holt einen Packen Zettel aus der Innentasche seines Jankers und schiebt ihn mir wortlos über den Tisch.
»Na und?« frage ich.
»Lies«, sagt er.
Aber da serviert der Quell-Poldl das Krügel fürn Herrn Trainer und meinen Tee mit Rum.
2
FAXE & RIPPERLN.
Die Tageskarte verspricht geselchte Schweinsripperln mit Pürree. Der ideale Magen- und Seelenwärmer an einem Dienstag im Februar, an dem ich nix auszusetzen habe außer den Umstand, daß ich ihn in Fünfhaus verbringen muß, noch dazu in Gesellschaft des heute nur schwer aushaltbaren Trainers.
Seit er mir seine Zettel zur gefälligen Kenntnisnahme überreicht hat, sind zirka fünfzehn Minuten vergangen, in denen er abwechselnd an seinem Bier genippt und dumpf in sein Krügel gestiert hat.
Ich hatte unterdessen das Vergnügen, bei einer
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