I love you, honey
alltägliche Dinge. Danach dusche ich mich und gehe in den angrenzenden kleinen Raum, den meine Mutter für mich vorbereitet hat. Ich lege mich in das frischbezogene Bett. Zuerst kommen die Katzen und dann Hachiko herein und springen auf die Zudecke. Ich kann mich unter den ganzen schweren Gewichten kaum noch bewegen, aber so fühle ich mich zufrieden und geborgen. ,,Gute Nacht“, rufe ich meiner Mutter durch die geöffnete Tür zu und schon falle ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Das Leben geht weiter
Als ich am nächsten Morgen aufwache, ist es totenstill in der Wohnung. Auf einmal überfällt mich mit aller Macht die Erinnerung an Kamal. Mein Magen krampft sich zusammen. Das Gefühl der Erleichterung, dass ich noch gestern bei meiner Ankunft empfunden hatte, ist wie weggeblasen. Stattdessen empfinde ich nur unsägliche Traurigkeit. Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Ich wünsche mir, wieder die Nähe von Kamal zu spüren, mit ihm zu reden und zu lachen, seine Hand zu halten und in das geliebte Gesicht zu schauen. Vielleicht wird es nie wieder so werden. Was machst du gerade, wo bist du, mein Kamal? Die Sehnsucht nach ihm wird immer stärker. Strolchi kommt zu mir und schnuppert an meinen Haaren. Auch Happy und Daisy gesellen sich zu mir und ich kraule ihr weiches Fell. Wenigstens habe ich noch meine lebendigen Souvenirs!
Niedergeschlagen stehe ich auf. M eine Mutter kehrt von einem Spaziergang mit Hachiko zurück. Sie bemerkt meine innere Zerrissenheit; stellt aber keine Fragen. Ich fühle mich wie gelähmt, und weiß nicht, was ich mit dem Tag anfangen soll. Ich beschließe, die Wohnung zu verlassen und draußen etwas herumzulaufen. Wie bei meiner ersten Rückkehr aus Marokko ist mir das Straßenbild fremd. Ich habe das Gefühl, als ob ich mich in einer riesigen Glasglocke befinden würde und nehme meine Umgebung nur gedämpft wahr. Hoffentlich ändert sich dieser Zustand bald. Ich gehe noch ein Stück, aber nach kurzer Zeit kehre ich wieder um. Ich fühle mich wie eine Fremde im eigenen Land.
Zu Hause springt Hachiko an mir hoch und ich bin froh, ihn bei mir zu haben.
,, Du brauchst Zeit, um dich wieder an das Leben hier zu gewöhnen“, sagt meine Mutter und ich nicke, obwohl ich mir in diesem Moment nicht vorstellen kann, dass sich mein jetziger Zustand je ändern wird. Ich gehe in mein Zimmer und schalte den Computer an. In meinem E-Mail Postfach finde ich eine Nachricht von Kamal vor. Sie lautet: ,, Honey, why don´t you call me. I´m very worried about you. I must know if everything is ok with you. Yours faithfully Kamal. “ Er wartet auf einen Anruf von mir, denn er möchte wissen, ob ich gut angekommen bin. Beim Lesen der Zeilen wird mir wieder die Notwendigkeit bewusst, mich bei ihm melden zu müssen. Es ist unfair, ihn weiter im Ungewissen zu lassen. Aber immer noch widerstrebt es mir, seine Nummer zu wählen. Ich stelle mir vor, ich rufe ihn an:,, Wie geht es dir?“, würde ich ihn fragen und wir hätten ein belangloses Gespräch. Das könnte ich nicht ertragen. Oder er würde: ,, I love you, I miss you“, sagen. Auch diese Variante könnte ich nur schwer aushalten, weil er so weit entfernt von mir ist und ich nicht weiß, ob es je noch eine gemeinsame Zukunft für uns geben wird. Ich bin wie blockiert und gebe es auf, mich zum Telefonieren zu zwingen. Zurzeit bin ich emotional nicht in der Lage, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Eine Antwort auf seine E-Mail schreibe ich auch nicht. Ich möchte eigentlich nicht den Kontakt zu ihm abbrechen, aber ich fühle mich der Situation nicht gewachsen. Vielleicht brauche ich einfach nur noch mehr Abstand zu meinen Erlebnissen.
Die T age vergehen und inzwischen mache ich regelmäßig kleine Ausflüge mit Hachiko in den Wald oder in den Park, wo er ohne Leine mit anderen Hunden herumtoben kann. Meine Mutter ist rücksichtsvoll und lässt mir meine Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten. Nach mehreren Wochen, nehme mein altes Leben wieder auf und lerne fleißig für mein Studium. Ab und zu treffe ich mich mit meinen Freundinnen. Aber innerlich bleibe ich an allen Geschehnissen um mich herum unbeteiligt.
Heute Abend bin ich mit einer Freundin zu einer Party eingeladen. Ich habe eigentlich keine Lust hinzugehen, aber meine Mutter hat mich dazu überredet. Sie ist der Meinung, es tut mir gut, wieder mehr unter Menschen zu gehen. Als ich mit meiner Freundin ankomme, empfängt uns dröhnende Discomusik und die Party ist schon in vollem Gange.
Weitere Kostenlose Bücher