Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
mir, nachmittags die Gebetszeiten einzuhalten. Dann war ich nämlich kaum vom Fernseher wegzubekommen.
Ich betete zu Allah um gute Noten, obwohl unsere Lehrer uns ermahnten: »Gott schenkt euch keine guten Noten, wenn ihr nicht fleißig lernt. Gott überhäuft uns mit seinen Segnungen, doch er ist auch gerecht.«
Also lernte ich mit großem Eifer. Normalerweise freute ich mich auf Prüfungen, weil ich dann zeigen konnte, was in mir steckte. Als jedoch im Oktober 2012 die Prüfungen anstanden, fühlte ich mich unter Druck. Ich wollte nicht wieder hinter Malka-e-Noor Zweite werden wie im März. Damals lag sie nicht bloß die üblichen ein oder zwei Punkte vorn, um die normalerweise die eine oder die andere von uns besser ist, sondern gleich um fünf!
Ich nahm Nachhilfestunden bei Sir Amjad, der die Jungenschule leitete. In der Nacht vor den Prüfungen blieb ich bis drei Uhr früh auf, um zu lernen und das ganze Lehrbuch noch mal durchzulesen.
Die erste Prüfung am Montag, dem 8 . Oktober war Physik. Ich mag Physik, denn da geht es um Wahrheit, um eine Welt, in der Prinzipien und Gesetze gelten und in der nicht alles drunter und drüber geht wie in der Politik, und speziell in der Politik meines Landes.
Während wir auf das Zeichen zum Anfangen warteten, rezitierte ich heilige Verse. Ich füllte den Testbogen aus und gab ab, aber ich wusste, ich hatte einen Fehler gemacht. Ich war so wütend auf mich, dass ich fast geweint hätte. Es war nur eine Frage, es ging nur um einen Punkt, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, etwas Schreckliches würde passieren.
Als ich an jenem Nachmittag nach Hause kam, war ich ziemlich müde, doch am nächsten Tag war Pakistanische Landeskunde dran, was für mich ein eher schwieriges Fach war. Ich hatte Angst, dass ich noch mehr Punkte verlieren könnte, also machte ich mir einen starken Kaffee mit Milch, um die Geister der Müdigkeit zu vertreiben. Als meine Mutter kam, versuchte sie meinen Kaffee. Er schmeckte ihr, und so trank sie ihn ganz aus. Ich konnte schlecht sagen: »Bhabi, bitte nicht, das ist mein Kaffee.« Und es war der letzte Kaffee, den wir hatten.
Wieder blieb ich lange auf und paukte das gesamte Buch über die Geschichte der Unabhängigkeit Pakistans von vorne bis hinten durch.
Am Morgen kamen meine Eltern in mein Zimmer und weckten mich wie üblich. Ich kann mich nicht an einen Schultag erinnern, an dem ich von selbst wach geworden wäre. Mama bereitete unser übliches Frühstück aus süßem Tee, Chapati und Spiegelei zu, und dann frühstückten wir gemeinsam: meine Mutter, mein Vater, Khushal Atal und ich. Es war ein großer Tag für meine Mutter. Denn an diesem Nachmittag sollte sie zum ersten Mal an meine Schule gehen und von Miss Ulfat, der Vorschulerzieherin, Unterricht in Lesen und Schreiben erhalten.
Mein Vater fing an, Atal aufzuziehen, der damals acht war und frecher denn je. »Weißt du, Atal, wenn Malala einmal Premierministerin ist, dann wirst du ihr Sekretär«, meinte er. Atal wurde so richtig böse. »Nein, nein, nein!«, schrie er. »Ich will nicht weniger sein als sie! Ich werde Premierminister, und sie wird meine Sekretärin!« Das ganze Gefeixe hatte zur Folge, dass ich mittlerweile so spät dran war, dass mir nicht einmal mehr genügend Zeit blieb, mein Ei ganz aufzuessen und meine Sachen wegzuräumen.
Die Prüfung in Landeskunde lief besser, als ich erwartet hatte. Es kamen Fragen über Muhammad Ali Jinnah dran und wie er Pakistan als ersten muslimischen Staat gegründet hatte, auch Fragen zur nationalen Tragödie, die zur Gründung von Bangladesch geführt hatte. Die Vorstellung, dass Bangladesch einst zu Pakistan gehört haben soll, obwohl es mehr als 1500 Kilometer entfernt liegt, fand ich seltsam. Ich beantwortete alles und war ganz zuversichtlich, eine gute Prüfung absolviert zu haben.
Glücklich, dass sie hinter uns lag, wartete ich mit meinen Freundinnen tratschend auf Sher Mohammad Baba, den Schuldiener, der uns immer rief, sobald der Bus da war.
Der Dyna fuhr täglich zwei Touren, und heute wollten wir die zweite abwarten. Wir hingen immer gern ein wenig länger an der Schule herum, und Moniba meinte: »Wir sind sowieso fertig von der Prüfung, lasst uns noch ein wenig hier bleiben und plaudern.«
Die Landeskundeprüfung war gut gelaufen, darum war ich einverstanden. An jenem Tag fühlte ich mich völlig unbeschwert. Ich war nur hungrig, aber weil wir über 15 waren, konnten wir nicht einfach auf die Straße gehen und uns etwas
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