Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
zurückgekehrt war, bereitete ihr Sorgen. War das Abkommen gar nur eine Täuschung fürs Volk gewesen?
Am 22 . Februar wurde vom Deputy Commissioner Syed Javid im Swat-Presseclub in Mingora ein »unbegrenzter Waffenstillstand« angekündigt. Er rief alle Swat-Bewohner zur Rückkehr auf. Zwei Tage darauf bestätigte der Taliban-Sprecher Muslim Khan, sie hätten eine unbefristete Waffenruhe vereinbart. Durch die Unterschrift von Präsident Zardari wurde der Waffenstillstand Gesetz. Das Parlament stimmte einer Entschädigung für die Opfer zu.
Alle im Swat jubelten, aber am allerglücklichsten war ich, weil das bedeutete, dass wir wieder regulären Unterricht haben würden. Die Taliban versprachen, auch die älteren Mädchen dürften nach dem Friedensabkommen wieder zur Schule gehen, sollten aber verschleiert und verhüllt sein. Wir fanden das in Ordnung, solange wir unser Leben leben konnten.
Doch das Abkommen war nicht allen willkommen. Die amerikanischen Verbündeten waren wütend. »Ich glaube, dass sich die pakistanische Regierung faktisch den Taliban und den Extremisten gebeugt hat«, erklärte die damalige US -Außenministerin Hillary Clinton. Die Amerikaner befürchteten, dass das Abkommen in Wirklichkeit Kapitulation bedeutete. Die pakistanische Zeitung
Dawn
schrieb in einem Leitartikel, dass es ein »verhängnisvolles Signal« sende – »man geht militärisch gegen den Staat vor, und er gibt einem, was man will, ohne dass er eine Gegenleistung erhält«. Die Welt sah den Staat Pakistan nichtstaatlichen Elementen nachgeben. Wenn wir im Swat einlenkten, wie sähe dann die Zukunft für das übrige Land aus?
Doch von denen, die protestierten, lebte niemand im Tal. Wir brauchten den Frieden, einerlei, wer ihn uns brachte. In unserem Fall sollte es ein weißbärtiger Mann von 78 Jahren sein, Sufi Muhammad. In der Stadt Dir schlug er ein »Friedenslager« auf und residierte dort in einer Moschee wie unser Landesherr. Er schien jedoch der Garant dafür zu sein, dass die Taliban die Waffen niederlegten und im Tal Frieden herrschen würde. Die Menschen suchten ihn auf, um ihm die Ehre zu erweisen und die Hand zu küssen. Sie hatten genug von Krieg und Selbstmordattentaten.
Anfang März stellte ich meinen Blog als Gul Makai ein, weil Hai Kakar fand, dass es nicht mehr viel zu sagen gab. Zu unserer Bestürzung änderte sich aber nach dem Abkommen nicht viel. Wenn überhaupt, dann wurden die Taliban noch barbarischer. Sie waren jetzt staatlich anerkannte Terroristen. Wir waren ernüchtert und enttäuscht. Das Friedensabkommen stellte sich als pure Augenwischerei heraus. Eines Abends veranstalteten die Taliban gar einen Flaggenmarsch in unserem Viertel und paradierten mit Gewehren und Stöcken durch die Straßen, als seien sie die Armee.
Nach wie vor hatten sie ihre Trupps im Cheena-Basar postiert. Eines Tages ging meine Mutter mit einer Kusine, die bald heiraten sollte, dorthin. Sie wollten für die Zeremonie einige Sachen einkaufen. Einer von den Taliban verstellte ihnen den Weg und sprach sie an. »Wenn ich euch noch einmal nur mit einem Schal und ohne Burka erwische, verprügle ich euch«, drohte er. Meine Mutter, die sich nicht leicht einschüchtern lässt, blieb gefasst. »Ja, gut, dann tragen wir in Zukunft Burka«, antwortete sie. Sie ging nie mit unbedecktem Haupt aus dem Haus, aber die Burka gehört nicht zur paschtunischen Tradition.
Weiterhin hörten wir, dass die Taliban einen Ladenbesitzer angegriffen hatten, weil sich eine Frau in seiner Parfümerie ohne männliches Geleit Lippenstifte angesehen hatte. »Frauen dürfen nicht ohne Begleitung eines männlichen Verwandten dein Geschäft aufsuchen, du hast unsere Vorschriften übertreten«, sagten die Extremisten. Sie richteten ihn schlimm zu, und niemand half ihm.
Eines Tages sah ich, wie mein Vater und seine Freunde sich auf seinem Telefon ein Video anschauten. Es war eine schockierende Sequenz. Ein siebzehnjähriges Mädchen in einer schwarzen Burka und roten Hosen liegt mit dem Gesicht nach unten auf der Erde und wird am helllichten Tag von einem bärtigen Mann in einem schwarzen Turban ausgepeitscht. »Bitte hör auf!«, bettelt sie auf Paschtu zwischen Schreien oder Wimmern bei jedem Hieb. »In Allahs Namen, ich sterbe!«
Man kann den Taliban rufen hören: »Drückt sie runter. Drückt ihre Hände runter.« Einmal rutscht ihr während des Auspeitschens die Burka hoch, und der Turbanträger hält einen Moment inne, um sie herunterzuziehen. Danach
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