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Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.

Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.

Titel: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Klemperer , Hadwig Klemperer , Walter Nowojski
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einfällt. Habe ich schon meine erste selbständige politische Regung? Ich war 1899 für die Engländer, als alles, das ganze jüdische Haus Löwenstein & Hecht, für die Buren schwärmte. Mein erster Eindruck amerikanischer Musik: die Kapelle Sousa 1903 in Paris. Wie einer nach dem andern hereinkam und zu spielen begann. Wie sie die »Washington Post« spielten. Mein erstes Gefühl eines großen Krieges: Ich ging mit Eva über die Kantstraße, und man brüllte die Extrablätter vom japanischen Torpedoangriff bei Port Arthur.
    Ich kann und kann nicht glauben, daß die Stimmung der Massen wirklich noch Hitler stützt. Zu viele Anzeichen dagegen. Aber alles, buchstäblich alles erstirbt in Angst. Kein Brief mehr, kein Telefongespräch, kein Wort auf der Straße ist sicher. Jeder fürchtet im andern Verräter und Spitzel. Frau Krappmann warnt uns vor der allzu nationalsozialistischen Frau Lehmann – und Frau Lehmann erzählt uns mit größter Bitterkeit, ihr Bruder sei zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, weil er einem »echten Kommunisten« ein Exemplar der »Roten Fahne« geliehen habe, der »echte« aber ein Spitzel gewesen sei.
6. September, Mittwoch vormittag
    Am Donnerstag, 31. 8., unsere 4. Blaufahrt (wir tun alles serienweise). Ich hatte eine Schutzbrille mit und ersparte das erste Mal alle Kopfschmerzen. Landschaftlich besonders schön. Durch die Neustadt zum »Wilden Mann«. Boxdorf, Dippelsdorf – also wieder die Heide, Teiche und in der Ferne Schloß Moritzburg, Weinböhla, Niederau, Meißen.
    Am Sonnabend, 2. 9., bei Köhlers. Hübsch und friedlich wie immer. Es tut wohl, mit »Ariern« zusammen zu sein, denen die gegenwärtige Tyrannei so furchtbar ist wie uns selber. Die jungen Köhlers begleiteten uns nach zwölf Uhr zu Fuß nach Hause. Wir nahmen sie zu einem Schluck Whisky zu uns hinauf, indem fing es an zu regnen. Wir saßen bis halb drei und kamen um drei ins Bett.
    Ich schreibe ausführlich von Vergnügungen; sie sind die Ausnahmen, und unser Leben fließt im allgemeinen sehr unglücklich hin, ohne Phrase: sehr unglücklich. Eva ist immerfort leidend und schwer deprimiert; ich selber quäle mich ständig mit Herz- und Angstbeschwerden, mit Todesgedanken. Immerfort die sinnlose Tyrannei, Unsicherheit und Ehrlosigkeit unserer Lage im dritten Reich. Meine Hoffnung auf baldigen Umschwung schwindet. Die Straßen gestopft von SA. Jetzt eben tobte der Nürnberger Parteitag. Die Presse verhimmelt Hitler wie Gott und seine Propheten in einem. – Dazu unverändert weiterpressend das Elend der Hausaffäre. – Wenn Eva musizieren könnte, wäre alles nicht halb so schlimm und vielleicht ganz gut.
17. September, Sonntag abend
    Gestern nachmittag bei Frau Schaps. Abschied von Sebbas, die nun wirklich nach Haifa auswandern. Ihre Möbel schwimmen schon, und sie selber fahren heute nach Triest, von dort zu Schiff weiter. Ich wechselte ein paar sehr herzliche Worte mit Jule Sebba. Alle Sentimentalität wurde vermieden, und sobald alles beisammen saß, sprach man vergnüglich. Aber darunter war doch in allen sehr tiefe Trauer, Bitterkeit, Liebe und Haß.Es hat mich sehr angefaßt, es hat Eva furchtbar mitgenommen. Jule Sebba sagte, er habe sich immer als Ostjude und somit wurzellos und dem Deutschtum unverbunden gefühlt. Aber er geht doch aus Europa und aus Sicherheit in eine neue Kolonie und ins Ungewisse, er geht mit Frau und Kind und fängt als Fünfziger von neuem an. Uns beide, Eva und mich, kränkt es maßlos, daß Deutschland derart alles Recht und alle Kultur schändet. –
14. November
    Am Sonntag stimmte ich beim Plebiszit mit »Nein«, und über den Wahlzettel zum Reichstag schrieb ich auch »Nein«. Eva gab beide Zettel leer ab. Das war beinahe eine tapfere Tat, denn alle Welt rechnete mit dem Bruch des Wahlgeheimnisses. Es hat sich mancher, um entweder der Wahl überhaupt oder der Wahlkontrolle zu entgehen, einen Stimmschein geben lassen, um außerhalb zu wählen. Ich glaube nicht, daß man wirklich das Geheimnis verletzt hat. Es war ja aus doppeltem Grund unnötig: 1. genügt es, daß jedermann an den Bruch des Geheimnisses glaubte und also Angst hatte; 2. war garantiert für die Richtigkeit des gemeldeten Ergebnisses, da die Partei ohne Gegenkontrolle alles beherrscht. Ich will auch noch anerkennen, daß durch die wochenlange maßlose und maßlos verlogene »Friedenspropaganda«, der kein gedrucktes oder gesprochenes Wort gegenüberstand, Millionen besoffen gemacht wurden. – Trotz alledem: Als

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