Ihr Pferd ist tot - Steigen Sie ab
und Verhaltensweisen fest, die nicht mehr zu uns passen und uns wenig Freude und keine neuen, lebendigen Erfahrungen vermitteln. Warum lassen wir es so weit kommen? Wir fahren doch unser Auto auch nicht so lange, bis der Tank leer ist, sondern machen uns vorher Gedanken und halten rechtzeitig an einer Tankstelle. Was motiviert uns, an toten Pferden festzuhalten?
Irgendwann starten wir auf einem sehr lebendigen Pferd: Wir lernen einen Menschen kennen und lieben, kaufen uns einen schicken Pullover oder reisen zum ersten Mal an einen wunderschönen Urlaubsort. Wir fühlen uns lebendig und glücklich. Aber jedes Glück lässt irgendwann nach. Langsam tritt Gewöhnung ein, oder die Umstände (wie die Mode) ändern sich. Was eben noch perfekt war, ist jetzt höchstens noch gut. Es wird Zeit, kleine Anpassungen vorzunehmen: mit dem geliebten Menschen Gespräche zu führen und die Beziehung aktiv zu gestalten. Andere Seiten meines Urlaubsortes kennen zu lernen. Und den Pullover eher für die Gartenarbeit zu tragen. Dies alles wäre jetzt konstruktiv.
Wir spüren aber einen inneren Widerstand. Vielleicht haben wir Angst, die Beziehung zu riskieren, wenn wir uns eingestehen, dass die Flitterwochen vorbei sind. Oder wir sind schlichtweg zu träge, um |16| Alternativen für den Urlaub oder den Pullover zu suchen. Es gibt viele Gründe und Strategien, Widerstand gegen Veränderungen zu leisten. Anfangs wollen wir nicht wahrhaben, dass etwas nicht mehr stimmt, und wir versuchen, unser Unbehagen zu ignorieren. Wir erklären uns und anderen mithilfe von scheinbar ganz vernünftigen Argumenten, dass es besser ist, beim Alten zu bleiben und neue Wege gar nicht erst zu suchen, geschweige denn zu gehen. »Die Trauben sind sowieso viel zu sauer«, sagt der Fuchs in der Fabel von Äsop, als er merkt, dass er sie so einfach nicht erreichen kann.
So bleiben wir, wo wir sind, und folgen nicht dem Bedürfnis und dem Druck nach Veränderung. Erst spüren wir gar nicht, dass ein solches Bedürfnis da ist, dann vermeiden wir, uns damit auseinanderzusetzen, und machen weiter wie bisher. Mit der Zeit wird der Graben zwischen den Erfordernissen der Situation (»Ich bin unzufrieden!«) und unseren alten, nicht mehr passenden Antworten, Denk- und Verhaltensweisen immer größer. Und so kommt es, dass wir uns eines Tages eingestehen müssen, dass unser Pferd, auf dem wir sitzen, tot ist – wo es doch scheinbar gestern noch so lebendig war. Das ist allerdings nicht die volle Wahrheit – denn wir haben uns nur so lange geweigert anzuerkennen, dass es im Sterben lag …
Wir können nur eine gewisse Zeit unbeschwert weitermachen wie bisher, bis wir nicht mehr ignorieren können, welchen Preis wir dafür zahlen. Sicherlich: Wir bekommen Veränderungen auch nicht umsonst – aber der Preis für das Festhalten ist meistens höher. Denn wir zahlen mit Unzufriedenheit und mit Langeweile, und wir schränken unsere Lebensqualität ein, indem wir neue, befriedigende Erfahrungen verhindern. Im Moment mag dies für den einen oder anderen ein erträglicher Handel sein. Wenn ich mir aber vorstelle, wie ich am Ende meines Lebens zurückblicken würde auf eine Zeit, die ich sehenden Auges
nicht
für mein Glück genutzt habe, erscheint es mir keine gute Idee, noch ein wenig auf meinem toten Pferd sitzen zu bleiben.
Erscheint Ihnen das Bild vom toten Pferd jetzt vielleicht etwas weniger absurd?
|17| Wenn mein Job ein totes Pferd ist …
Solange es sich nur um die immer gleiche Käsesorte zum Frühstück handelt, ist die Strategie des Festhaltens kein großes Problem. Viel komplizierter und schwerwiegender ist es, wenn unser Job schon viel zu lange ein totes Pferd ist. Und so geht es einer Menge von Menschen: Seit 2001 untersucht das Forschungsinstitut Gallup jährlich den Grad der emotionalen Bindung an die berufliche Tätigkeit. Die Zahl der Deutschen, die angeben, nur eine geringe Bindung zu spüren, lag bisher konstant bei über 60 Prozent – und über 20 Prozent sagen von sich, dass sie schon innerlich gekündigt haben. Unzufriedenheit mit dem Job scheint eher die Regel als eine Ausnahme zu sein.
In meiner Coachingarbeit habe ich aber nicht den Eindruck gewonnen, dass die meisten beruflich unzufriedenen Menschen sich von Anfang an einen völlig falschen Job ausgesucht haben. So, wie tote Pferde einmal jung und dynamisch waren, kann eine berufliche Tätigkeit viele Jahre genau die richtige gewesen sein. Aber wir verändern uns glücklicherweise, und damit
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