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Ihre Leidenschaft

Ihre Leidenschaft

Titel: Ihre Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Véronique Olmi
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Träumen eingerichtet hatte und das nur noch ein Albtraum war?
     
    »Sie gehen also nicht tanzen? Tanzen Sie nicht gern? Ich auch nicht, das kann ich Ihnen sagen, weiß Gott, ich tanze nicht gern, ich bin Asthmatiker, deswegen erst recht nicht, die Bars mit dem ganzen Rauch, da erstick ich glatt, meine Frau schimpft mit mir, oh ja, sie ist eine verdammt gute Tänzerin, aber ich geh lieber zur Jagd, gut, dieses Wochenende ist eine Ausnahme, ehrlich, in drei Tagen mache ich den Umsatz von einem normalen Monat, aber nächsten Sonntag bin ich als erster an Deck, so viel steht fest! Wenn ich meiner Frau dann ein paar Drosseln mitbringe, ist sie auch zufrieden, aber diese verqualmten Bars, nein danke, das halt ich nicht aus.«
     
    Soll sie ihm nicht eine SMS schicken, ihn jetzt schon wissen lassen, dass sie seine bekommen hat, dass er nicht einschlafen soll, dass er ihr vor allem nicht böse sein soll, dass sie ihn anrufen wird, dass sie unterwegs ist, unterwegs zum Hotel …
    »Ist es noch weit?«
    »I wo! Zwei Minuten! Sind Sie müde? Da werden Sie sich sehr wohlfühlen, es ist ruhig, ein kleines Hotel mitten auf dem Land, mal was andres als Paris, stimmt’s? Die Luftverschmutzung, die Staus, oh, là là!«
     
    So ein Blödmann, dieser Fahrer, ein armer Idiot von Jäger, ich kann mir gut vorstellen, wie er seine Drossel ausnimmt, seine Frau hat noch die Schürze um, und der Sohn macht ein Foto, »Papas Drossel«, ein Hotel mitten auf dem Land, so ein Schwachsinn, was soll das, mitten im Nichts zu schlafen, wo es doch verrauchte Bars, leuchtende Laternen, pfeifende Züge, brüllende Säufer gibt, was soll das, uns mitten im November auf dem Land einzusperren?
    Und es war weit, oh Gott, wie weit es ihr vorkam! Weit weg von der Stadt. Weit weg vom Bahnhof. Weit weg von der Autobahn. Weit weg von den kleinen Bungalows, den Siedlungen mit privatem Gärtchen, Grill, Schaukel, Fertigküche und praktischer Garage, ja, sogar der Anblick eines Schrebergartens hätte sie beruhigt, hätte einen Bezug geschaffen in dieser Blase aus Nebel und Raureif und all den Tieren, die sie sich vorstellte, den Drosseln und Wildschweinen, die vor der morgendlichen Treibjagd ihre Kräfte sammelten, diesen Tieren, die niemals tief geschlafen, nie echte Ruhe erlebt hatten, diesen ewig Verfolgten, sie wusste, dass sie dort waren, ringsum, versteckt, verkrochen, ein Auge offen, die Ohren gespitzt und beweglich, die Haut bebend, der Atem warm … Wie lange noch?
     
    Wenn ich ihm schreibe »Ich ruf dich an«? »Ich ruf dich in fünf Minuten an«? Das ist Quatsch. Er hat geschrieben, hat gewagt, mir zu schreiben »Du felst mir«, göttlicher Satz, Verheißung und Geheimnis, Liebeserklärung, und da soll ich antworten: Keine Angst, mein Spatz, ich ruf dich bald an …? Das ist ungehörig. Eine Beleidigung. Eine Banalität, die sofort offenbaren würde, auf welches Niveau ich mich und unsere Beziehung stelle. Ich könnte ihm schreiben: »Du fehlst mir auch.« Nein, nein, das nicht, das wäre zu einfach, erst muss ich es wissen, muss er den Mut haben, mir seine Entscheidung ins Gesicht zu sagen, »Du fehlst mir auch« wäre ein Rettungsring, sofortige Erlösung, er würde sich sagen »Sieh an, offenbar kommt sie nicht ohne mich aus, machen wir weiter wie vorher, die Frau und die Geliebte, sonntags zu Hause, nachmittags mit ihr, das Haus auf meinen Namen und die kleine Wohnung auf ihren«, nein, nur das nicht!
    »Kommen Sie oft zur Buchmesse?«
    »Ja! Ich finde es wunderbar! Die Atmosphäre ist so herzlich, die Altstadt ist so schön, und die Einwohner sind echte Leser, ich komme jedes Jahr, ich lasse keine aus!«
     
    Bei Unbekannten konnte sie so gut lügen, sie wusste schon vorher, was sie hören wollten, aber die Nächsten, die Lieben, die Geliebten belog sie nicht, weil sie es nicht konnte, sie errötete, stammelte, brach in falsches, impulsives, nervöses Lachen aus, benahm sich wie ein dummes Kind.
    Es war so warm in dem alten Mercedes, am Rückspiegel schaukelte ein Rosenkranz, am Armaturenbrett klebten Fotos, sicher die Familie, schließlich hatten viele eine kleine Familie, alle außer ihr, außer ihr und tausend anderen Frauen, es gab viel mehr Frauen als Männer, deshalb waren die Männer zur Bigamie gezwungen, die armen, sie brachen zusammen unter den Aufträgen; plötzlich hatte sie Lust, Patrick zu schreiben, dass ein h fehlt und was einem noch so alles fehlt, Kinder, Geld, Liebe, ein Fehlen zieht ein anderes nach sich, ein Schmerz nährt

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