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Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Calvetti
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Personalausweis: Witwe. Für einen Vater und eine Mutter, die ihren Sohn verlieren, habe ich kein Wort gefunden. Vielleicht ist dieser Schmerz so schwer zu fassen, dass man ihm keinen Namen geben kann. Mir ist aufgefallen, dass es auch für einen Bruder, der einen Bruder verliert, kein Wort gibt.
    Ich war immer der Überzeugung, dass man Dinge, die nicht gut laufen, in Ordnung bringen kann, und dass ich auch ohne euch zurechtkomme. Ich habe mein Bestes getan. Gut funktioniert hat es nicht. Sieht man mal von der Sache mit den Überraschungseiern ab, die eigentlich für die Nachbarskinder gedacht waren und die ich heimlich aufgemacht, ausgeräumt und mit Tesafilm wieder zugeklebt habe, oder auch von jenem anderen Mal – he, Leute, da war ich sechzehn –, als ich nachts einfach fortgeblieben bin und bei Enrico geschlafen habe, und dann noch von ein paar weiteren Eskapaden eines aufmüpfigen Jugendlichen, habe ich euch nie viel Ärger gemacht.
    Ich bin nicht hier, um abzurechnen oder Urteile zu fällen, aber eines sollt ihr wissen: Niemand ist schuld. Es gibt immer Gründe, wenn jemand stirbt. Manchmal sind sie komplizierter, als wir denken. Es ist einfach so, dass Andrea sich im Leben nicht zurechtgefunden hat. Es wird euch nicht respektlos vorkommen, wenn ich heute sage, dass ich erleichtert bin. Es war ein Missverständnis, Leute. Man kann sich lieben, auch wenn man sich nicht sieht, oder? Es gibt Leute, die lieben Gott ihr Leben lang, ohne ihn je gesehen zu haben, und auch wenn es schwer ist, etwas zu lieben, das man nicht sieht, versuche ich es trotzdem.
    Papa, uns beiden haben die Worte gefehlt. Du hast dich mir gegenüber nie zu dem schrecklichen Unglück äußern wollen und hast auch nie nach einem angemesseneren Wort dafür gesucht. Unheil? Schicksal? Entscheidung. Versehen. Freiwilliger Flug.
    Es hätte uns gutgetan, die Sache gemeinsam durchzukauen und auszuspucken und das Herz derweil auf Standby zu stellen. Vielleicht wurzeln alle Geschichten im Schweigen, aber wenn wir miteinander geredet hätten, wäre unsere Geschichte anders verlaufen.
    Mama, ich liebe dich. Stets dachte ich, Andrea fehlt mir, aber tatsächlich warst du es, die mir gefehlt hat. Du hast mir so sehr gefehlt, dass ich immer dachte, ich würde den Neid, die Ressentiments und die Minderwertigkeitsgefühle nie ablegen können. Ich konnte ihn nicht ersetzen. Verzweifelt habe ich mir gewünscht, dass du mich so liebst, wie du ihn geliebt hast. So, jetzt hab ich’s gesagt.
    Ihr sollt wissen, wie schön es ist, etwas zu sagen, das man unbewusst immer in sich getragen hat, und wie schön es ist, das Mitleid zu zertrümmern und dem Schmerz ins Gesicht zu schauen, bis sein Antlitz etwas Vertrautes bekommt.
    Es liegt mir am Herzen, Andrea, dir zu sagen, dass unsere Mutter nur aus irgendeinem beliebigen Fenster schauen musste, um Hass auf das triumphierende Blau des Himmels zu empfinden. Das war ihre Art und Weise, dich weiterzulieben, nachdem du gegangen warst. Es gibt schlimmere Ängste als die vor dem Tod, das habe ich von dir gelernt. Wir haben dir allerdings nicht genügt. Vielleicht war es recht so.
    Du und ich, wir trennen uns jetzt.
    Ich spüre den Zug der Seile, stark wie Sehnen, die mich an dich gefesselt haben. Die Knoten bleiben nicht hängen wie in einem Kamm, sondern lösen sich auf, weil sie ihre Aufgabe erfüllt haben. Sie sollten mich an etwas binden, das ich für unverzichtbar hielt.
    Jetzt stelle ich meine Füße wieder fest auf den Boden und behalte dich bei mir, für immer.
    Nichts von dem sprach Diego laut aus. Er dachte die Worte, eingehüllt in das gnädige Weiß der Gräber. Von irgendwoher erfüllte Musik die Luft. Unter einem Baum erklang das freundliche Raunen eines Cellos. Ein junger Musiker in einem schwarzen Anzug, die Haare nass vom Schnee, die Lippen bläulich, führte den Bogen sanft über die Saiten. Diego erkannte die erste Cello-Suite von Johann Sebastian Bach, eine fremdartige Musik, die von einem abgelegenen Ort herüberkam, zu immer feineren Fäden zerfaserte und sich schließlich in Kristalle auflöste.
    Um dann zu verstummen.
    Diego schloss die Augen und hatte keine Angst mehr, sich oder seinen Sinn für Worte zu verlieren. Oder dort unten zu landen, was auch immer. Er fühlte sich frei, als hätte er eine Schwelle überschritten oder einen Rekord gebrochen oder etwas Unbekanntes berührt, und

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