Im Jenseits ist die Hölle los
hielt mir einen Taschenspiegel vor den Mund. Ein anderer locker-te meine Krawatte. Erschüttert beugte ich mich über mich, um zu sehen, ob der Spiegel beschlug.
Die Spiegelfläche blieb klar. Ich sah in meine Augen: Der Blick war leblos, die Pupillen geweitet, ganz offen sichtlich war ich tot.
Kurz darauf traf die Ambulanz ein. Die Sanitäter fühl ten rasch meinen Puls, schüttelten den Kopf. Sie legten mich auf eine Trage und schoben diese in den Wagen, alles ohne Eile, tot war tot. Dann fuhr die Ambulanz davon, um meinen Körper in die Klinik zu bringen – das Martinshorn war nicht eingeschaltet.
Nach einigen Minuten erschien die Polizei, um die am Unfallort zu treffenden Maßnahmen vorzunehmen. Die Zuschauer zerstreuten sich, die Show war vorbei. Der Portier des Warenhauses fegte auf der Straße die Glas scherben zusammen, und der Hausmeister kam mit einem Wasserschlauch, um die wenigen Blutspuren vom Bürgersteig zu spülen. Der Mann, der mich überfahren hatte, erklärte den Polizisten, dass die Schuld an dem Unfall bei mir gelegen habe. Er betrachtete traurig die Schäden an seinem Wagen.
Ich war also tot.
Der Gedanke erschien mir unfassbar. Wieso ausge rechnet ich? Ich hatte große Mühe, mich an die Situati on zu gewöhnen.
Welchen Sinn machte es, auf diese Weise zu sterben, einfach so aus Versehen? Diese Sinnlosigkeit und die banale Art meines Todes begannen mich zu ärgern. Wem nutzte dieser Tod? Hätte ich es nicht verdient gehabt, wenigstens noch zehn Jahre zu leben? Dann hätte ich beweisen können, dass ich ein ernst zu neh mender Mensch gewesen war und nicht nur ein Tage dieb.
Hätte nicht irgendeine unbedeutendere Person an meiner Stelle sterben können? Jetzt konnte ich nichts mehr zu Ende bringen – dabei war ich eigentlich noch gar nicht dazu gekommen, etwas Wichtiges und Spürba res, etwas Bleibendes überhaupt in Angriff zu nehmen. Ich fühlte mich betrogen. Und für ein solches Ende hatte ich nun mehr als dreißig Jahre gelebt?
Ich überlegte, was ich jetzt anfangen sollte. Vielleicht war es am klügsten, den Dingen ihren Lauf zu lassen? Ich stand unschlüssig und tief erschüttert auf der Stra ße und fragte mich, ob irgendein lebender Mensch ahn te, was ich in diesem Moment durchmachte. Doch sofort schalt ich mich für diese törichten Gedanken: Die Le benden konnten ja gar nichts vom Tod wissen. Denn wüssten sie etwas davon, wären sie nicht mehr am Leben.
Sollte ich einfach den unterbrochenen Heimweg fort setzen, so als wäre nichts geschehen, so als wäre ich gar nicht gestorben? Das erschien mir irgendwie logisch. Vor dem Unglück hatte ich zwar beschlossen, in eine kleine Gaststätte auf der Liisankatu einzukehren und ein paar Bier zu trinken, ehe ich zu meiner Frau heim gehen würde. Doch reizte mich jetzt, nach meinem plötzlichen Tod, der Gaststättenbesuch nicht mehr. Wahrscheinlich wäre das auch eher unpassend gewe sen: Man stirbt und geht gleich anschließend in die Kneipe. Davon abgesehen hatte ich auch überhaupt keinen Durst mehr. Der Wunsch, kühles Bier zu trin ken, war anscheinend in meinem toten Körper geblie ben, und dieser wurde gerade mit der Ambulanz in die Klinik geschafft.
Plötzlich erschrak ich: Würde ich meinen Körper ü berhaupt wiederfinden, wenn ich mich nicht sofort darum kümmerte, wo er verblieb? Sicher war es das Beste, der Ambulanz zu folgen, die in Richtung Haka niemi davongefahren war. Ich stürzte los und stellte sofort erfreut fest, dass ich mich so schnell wie ein Gedanke bewegen konnte. Im Nu war ich in Hakaniemi, am Tierpark und in Alppila, wo ich die gemächlich da hinfahrende Ambulanz einholte.
Durch das teilweise sichtgeschützte Fenster sah ich meinen Körper, der Kopf war von einem Tuch verdeckt. Ich erkannte mich dennoch am Anzug und an der Aktentasche, die auf meinem Bauch lag. Wie ich wusste, trug ich einen hellbraunen Sommeranzug und neue braune Schuhe, die ich mir zwei Tage zuvor gekauft hatte. Der Kauf erschien mir jetzt überflüssig, denn die Schuhe waren teuer gewesen und die alten hätten noch gut die letzten beiden Lebenstage überstanden. Aber wie hätte ich das ahnen sollen! Andererseits – bei näherer Betrachtung war ich trotzdem zufrieden, denn so war ich nun nicht nur mit einem gut sitzenden Anzug bekleidet, sondern trug auch nagelneue Schuhe. Zum Glück hatte ich mir außerdem morgens das Haar gewaschen, sodass ich eigentlich ein ziemlich adretter Leichnam war.
Die
Weitere Kostenlose Bücher