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Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Fyfield
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Anhieb nicht sagen, ob sie Wut, blankes Entsetzen, Angst ausdrücken, doch Angst muß in ihnen wohl immer sitzen, etwas anderes zählt nicht am Schrei. Diese wollten nicht enden, und ich bin ein Feigling. Es geht dich nichts an, du bist niemandem etwas schuldig, sie ist schwanger und hysterisch, ihre Sache, nicht deine! Und: vielleicht wird jemand gemordet, vielleicht würdest du dich in Gefahr begeben, Närrin, du hast selber Kinder, du willst leben! Wie angewurzelt vor der Tür, hilfesuchende Blicke nach links, nach rechts, nichts, dann: Dort drinnen sind auch Kinder! Jeden, ausnahmslos jeden würdest du eigenhändig umbringen, der die deinen allein in einem Haus mit solchen Schreien ließe! Und du bist es Katherine schuldig, sie könnte verletzt sein, sie bekommt ein Kind, sie ist gestürzt! Geh rein! Geh rein, du widerliche, feige Trunkenboldin!
    In die Küche, immer den Schreien nach, nichts leichter als das, nicht zu verfehlen, erste Tür von der Diele aus, du warst erst kürzlich dort.
    Andere Schreie stimmen einen Mißklang an: ein Kind, der kleine Jeremy schreit mit seiner Mutter um die Wette. Die letzten paar Schritte bin ich gerannt.
    Zuerst dachte ich, es wird jemand getötet, denn ein Schlachtfeld war es, was sich meinem Blick bot: die makellos reine Küche, in der ich gesessen und die ich von außen durchs Fenster bewundert hatte, war eine einzige Müllhalde. Überall irgendwelche Sachen, Müllsäk-ke, alles vergleichsweise wild durcheinandergewürfelt, nicht die Musterküche, die ich gekannt hatte. Als nächstes registrierte ich nach dem Bild der Verwüstung die plärrende Fratze des Kleinen, der un-beachtet an den Flügeltüren stand, das Gesichtchen rot vom Schreien, in einer Hand ein blaues Bauklötzchen umklammernd, zu Tode erschrocken. Mein irrender Blick suchte Katherine, die Urheberin der gellenden Schreie, die so anders waren als die des Jungen, sah eine 354
    Frau, die ich für sie hielt, bis mir binnen Sekundenfrist klar wurde, daß sie es nicht war. Sie rang in der Tür zum Erkerzimmer mit David. Im Gegenlicht der hinter ihnen einfallenden Sonne verschmolzen seine verwischten Gesichtszüge mit der Frauengestalt zu einer Silhouette. Sie kämpften weniger miteinander, als daß sie einander festhielten, oder vielmehr hinderte er sie, sich zu bewegen, versuchte, sie von der Tür zurückzuschieben. Sie hatten die Gesichter der Sonne zugewandt, das Gerangel hatte etwas Absurdes, und doch schrie sie. Sie bemerkten mich nicht. Dann hatte er sie endlich von der Tür weggebracht, er redete auf sie ein, mit einer Stimme, die rauh war und schneidend vor Angst. Das nächste bewußte Gefühl: Erleichterung. Es war noch niemand verletzt, kein Blut, ich war fehl am Platz, nichts als Lärm. Eine Auseinandersetzung und ein ver-schrecktes Kind. Doch ein Gefühl – weniger Mut als vielleicht Neugier – trieb mich vorwärts, drängte mich an den beiden miteinander beschäftigten Erwachsenen vorbei in den sonnigen Erker, wo die Kinder spielten. Ihr Zimmer, in Sonnenlicht getaucht bis in die hintersten Winkel.
    Welche Farbenpracht dort, welche fürchterliche Verheerung. Kleider und zerlegtes Spielzeug, kleine Teddybärarme, zerbrochene Autos und zerrissene Poster, vor allem aber Kleider, schimmernde Stoffe, eine große, leuchtend violette Fläche. Und dahinter, eine Aureole hellblonden Haars, auf obszöne Weise goldglänzend vor Purpur-grund, ein zur Hälfte sichtbares Gesichtchen und eine winzige Hand mit riesigen Knöcheln. Am anderen Ende des violetten Tuchs war ein mageres Bein zu sehen, die Wade und der kümmerlich schmucklos in einer weißen Socke steckende Fuß. Sie rührte sich nicht.
    Jetzt erst sahen sie mich, die Erwachsenen. Vielleicht, weil er sie in diesem Augenblick ohrfeigte, um ihre Schreie abzustellen – diesmal kein sanftes Klopfen der Finger, eine richtige Ohrfeige. Inzwischen war mir klar, daß sie nicht Katherine war, aber inzwischen war es vollkommen egal, wer sie war. Sie schien sich im selben Moment zu fassen, als ich ihr einen flüchtigen Blick zuwarf, und sah David fragend an, auf eine Erklärung wartend. Er war es jetzt, der losschrie.
    Mit vom scharfen Kontrast des Hell und Dunkel noch geblendeten Augen nahm ich nur die Verwandlung seines Gesichts in eine ver-355
    zerrte Grimasse zornentbrannten, drohenden Schreiens wahr, sah eine geballte Faust sich gegen mich erheben, sah ihn sie mit der anderen festhalten. Ich begriff nur die Drohgebärde, erfaßte nur die Gefahr. Ich wandte mich

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