Im Koenigreich der Traeume
Royce war glücklich und zufrieden - so zufrieden, daß ihn nicht einmal Gawins Faxen verärgerten. Um Jennys Entscheidung, das Weihnachtsfest auf traditionelle Weise zu begehen, Rechnung zu tragen, hatte er erlaubt, daß Gawin die Rolle des Lord of Misrule spielen durfte - das hieß, daß der Junge drei Tage lang den Vorsitz am Tisch führen, die Mimik seines Herrn nachäffen, absurde Befehle erteilen und Dinge tun und sagen durfte, für die ihn Royce zu jeder anderen Zeit aus Claymore verbannt hätte.
Im Augenblick lümmelte sich Gawin auf Royces Stuhl an der Tischmitte und imitierte Royce, indem er den Arm auf Tante Eli-nors Stuhllehne legte. »Euer Gnaden«, sagte er im selben Tonfall, den Royce anschlug, wenn er sofortigen Gehorsam erwartete, »an diesem Tisch sitzen einige, die gern die Antwort auf ein Rätsel erfahren würden.«
Royce zog eine Augenbraue hoch und wartete ergeben auf die Frage.
»Ist es wahr oder erfunden, daß ihr >Wolf< genannt werdet, weil Ihr im Alter von acht Jahren eine dieser Bestien getötet und ihre Augen verspeist habt?«
Jenny prustete vor Lachen, und Royce sah sie gespielt beleidigt an. »Madam«, sagte er, »lacht Ihr, weil Ihr daran zweifelt, daß ich in diesem zarten Alter stark genug war, es mit einem Wolf aufzunehmen?«
»Nein, Mylord.« Jenny kicherte und tauschte bedeutsame Blicke mit Godfrey, Eustace und Lionel. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Mann, der lieber gar nichts ißt als schlecht zubereitete Speisen, die Augen von irgendeinem Tier verschlingt.«
»Ganz recht«, bestätigte er grinsend.
»Sir«, rief Gawin, »ich bitte um eine präzise Antwort. Welche Körperteile der Bestie Ihr verspeist habt, spielt keine Rolle. Interessant ist nur, wie alt Ihr wart, als Ihr sie niedergemetzelt habt. Es gibt verschiedene Legenden - die einen erzählen sich, Ihr wart vier, die anderen sagen, Ihr seid vierzehn gewesen, und wieder andere ...«
»Ist das wahr?« spottete Royce.
»Ich dachte, die Geschichte entspricht einer tatsächlichen Begebenheit«, sagte Jenny, während sie ihn neugierig musterte. »Hast du einen Wolf getötet, als du noch ein Kind warst?«
Royces Mundwinkel zuckten. »Heinrich hat mir den Beinamen >Wolf< bei der Schlacht von Bosworth gegeben.«
»Weil Ihr einen getötet habt«, ergänzte Gawin hoffnungsvoll.
»Weil«, korrigierte ihn Royce, »wir kämpfen mußten wie die Berserker und es wenig zu essen gab, und weil ich kaum Fleisch auf den Knochen hatte. Am Ende der Schlacht begutachtete Heinrich meine klapperdürre Gestalt und mein dunkles Haar und meinte, ich würde ihn an einen hungrigen Wolf erinnern.«
»Ich glaube nicht...« begann Gawin, aber Royce schnitt ihm mit einem strengen Blick das Wort ab, der deutlich machte, daß er für heute genug von seinen Possen hatte.
Jenny, die schon seit einer Weile sorgfältig verbarg, daß immer wiederkehrende Schmerzen ihr arg zusetzten, suchte den Blick von Tante Elinor und nickte kaum merklich. Sie neigte sich zu Royce und sagte leise: »Ich denke, ich ruhe mich ein wenig aus. Du brauchst nicht mitzukommen, bitte bleib sitzen.«
Er drückte ihre Hand und nickte.
Als Jenny aufstand, erhob sich auch Tante Elinor, aber sie blieb neben Arik stehen und legte die Hand auf seine Stuhllehne. »Ihr habt Euer Geschenk noch nicht ausgepackt, mein lieber Junge«, sagte sie.
Heute waren alle beschenkt worden, aber Arik hatte sich den ganzen Tag nicht gezeigt und war erst zum Abendessen erschienen.
Er zögerte und legte seine große Hand auf das in Seide gewickelte Päckchen neben seinem Teller. Er schien sich ganz und gar nicht wohl in seiner Haut zu fühlen, als alle Anwesenden ihn neugierig ansahen. Schließlich gab er sich doch einen Ruck und wickelte sein Geschenk mit ungeschickten Fingern aus. Er starrte auf die schwere Silberkette und das runde Medaillon, legte aber schnell die Hand darüber. Ein kurzes, unbehagliches Nicken drückte seine >ergebene Dankbarkeit aus, doch Tante Elinor gab sich damit noch lange nicht zufrieden. Als Arik aufstand, strahlte sie ihn an und sagte: »In dem Medaillon befindet sich eine getrocknete Traubenblüte.«
Die dicken Augenbrauen rutschten zusammen, und obwohl er seine Stimme so leise wie möglich hielt, dröhnte das Wort: »Warum?« durch die Halle.
Tante Elinor neigte sich zu seinem Ohr und flüsterte: »Weil Schlangen Traubenblüten nicht mögen. Das ist eine Tatsache.«
Sie drehte sich zu Jenny um, weil sie sie in ihr Zimmer bringen wollte, und
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