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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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sie summend den Raum. Kaum vorstellbar, dass dieselbe Person uns gestern mit einem Gewehr bedroht hatte, zum Äußersten entschlossen.
    Ich wusch mir das Gesicht und die Hände in der Waschschüssel und zog mich an. Ob die Cordes vorhatten, mich nach Bethanien zurückzuschicken? Ich hätte Frau Cordes gestern doch nicht anvertrauen sollen, dass ich weggelaufen war, ohne mich von Herrn Freudenreich zu verabschieden. Pastor Cordes war Missionar wie Freudenreich auch, vielleicht hatte er Angst, es sich mit der Rheinischen Mission zu verderben, wenn er mich bei sich behielt.
    Wenn sie mich mit dem Ochsenkarren nach Bethanien brachten, dann würde ich noch vor Petrus in der Missionsstation ankommen. Ich schauderte, als ich mir vorstellte, wie wir uns dort wiederbegegneten. Alles wäre umsonst gewesen, die lange beschwerliche Reise, die Gefahren, denen wir uns ausgesetzt hatten.
    Wir wären gescheitert.
    Aber vielleicht würde Petrus ja gar nicht nach Bethanien zurückkehren. Vielleicht reiste er direkt nach Windhuk, Lüderitz oder Swakopmund, um sich dort eine Arbeit zu suchen. Er war zwar schwarz, aber er war ein Mann. Er konnte tun und lassen, was er wollte.
     
    Ich klopfte sehr leise und zaghaft an die Tür von Pastor Cordes’ Schlafkammer. Heute lag er nicht im Bett, sondern saß auf einem Stuhl. Er trug auch kein Nachthemd mehr, sondern einen schwarzen Anzug, aus dessen Ärmeln seine bandagierten Hände hingen wie Lumpen bei einer Vogelscheuche. Hinter ihm stand seine Frau und hielt sich an seiner Stuhllehne fest.
    Auch sie war sehr blass.
    Ich kehre nicht wieder zurück, beschloss ich, während ich auf die beiden zuging. Was auch immer geschieht, ich gehe nicht wieder zu Freudenreich. Der Entschluss erfüllte mich mit einer großen Kraft.
    »Liebes Kind«, sagte Pastor Cordes. »Liebe Henrietta.«
    Dann machte er eine Pause, in der ich meine Augen auf meine Füße senkte. Das Leder der Sandalen, die mir Petrus’ Schwester geschenkt hatte, war aufgestoßen und brüchig. Meine Zehennägel waren gelblich verfärbt. Viel zu lang. Gleich würde mir Herr Cordes mitteilen, dass er mich wegschicken müsste. Ich gehe nicht wieder zurück . An diesem Gedanken hielt ich mich fest wie Frau Cordes an der Stuhllehne.
    »Wir müssen Abbitte leisten«, fuhr Herr Cordes fort.
    Es dauerte einen Moment, bis die Worte in mein Bewusstsein gedrungen waren. Abbitte? Wofür?
    »Wir haben nur uns selbst gesehen und unser eigenes Leid, aber das Ihre haben wir nicht beachtet. Sie haben sich in Ihrer Not zu uns geflüchtet, aber wir haben Ihre Hilferufe nicht vernommen.«
    Not? Hilferufe? Wovon sprach der Pastor?
    »Ich habe sie wohl vernommen«, widersprach jetzt seine Frau. »In der letzten Nacht. Sie waren ja auch nicht zu überhören. Henrietta, es tut mir leid.«
    Der Traum. Meine Mutter, die mich festgehalten und getröstet hatte. Es war gar nicht meine Mutter gewesen, sondern Frau Cordes. Ich spürte, wie ich rot wurde.
    Der Pastor räusperte sich. Dann schwankte er leicht, so als stellte dieses Räuspern eine unglaubliche Anstrengung dar. »Wir möchten Sie bitten, bei uns zu bleiben«, sagte er.
    »Als unsere Tochter«, ergänzte seine Frau.
    »Wir nehmen Sie mit nach Deutschland. Und dort soll Ihnen die gleiche Pflege, Fürsorge und Liebe zuteil werden wie Eva und unseren Söhnen. Ich bin kein reicher Mann, aber was mir gehört, soll auch Ihnen gehören, zu gleichen Teilen wie meinen anderen Kindern auch.«
    Ich schluckte. Das war mehr, als ich in meinen kühnsten Träumen erhofft hatte. Das war überwältigend. Herr und Frau Cordes wollten mich adoptieren. Eva, die ich so um ihre Eltern beneidet hatte, wäre dann meine Schwester.
    »Wenn Sie es wollen«, ergänzte die Pastorin die Worte ihres Mannes. Sie versuchte ein Lächeln, das misslang. »Es wird uns allen guttun, Sie bei uns zu haben, dessen bin ich gewiss. Mein Mann wird auch an Missionar Freudenreich schreiben, damit die Dinge dort geklärt sind.«
    So einfach war das. Ich hatte meine Mutter verloren und Petrus, aber nun hatte ich eine neue Familie, mit der ich nach Deutschland zurückkehren würde.
    Das war das wunderbare, glückliche Ende einer langen und verworrenen Geschichte.
     
    War das wirklich das Ende der Geschichte? Würde ich mit den Cordes zurück nach Deutschland gehen anstelle der beiden Söhne, die von den Kaffern umgebracht worden waren? Würde ich mir mit Eva ein Zimmer teilen, vielleicht sogar mit ihr aufs Lehrerinnenseminar gehen, wie ich es mir

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