Im Netz der Meister (German Edition)
etwas zu konzentrieren, sie wollte denken, was sie wollte und nicht denken, was sie musste. Es gelang ihr nicht.
»Nein, du solltest jenes nehmen, ma chérie. Wir werden dein Konterfei in Sepia arrangieren, dann wirkst du sehr rätselhaft, warm und mystisch.«
Simone hörte auf Karins Rat und entschied sich für ein Foto, auf dem sie die Augen niedergeschlagen und den Kopf leicht gesenkt hatte. Mit zahlreichen Klicks hatte Karin das Porträtfoto in ein Kunstwerk verwandelt: Simones Gesicht war verwischt vor dem Hintergrund eines Spinnennetzes zu erkennen. Den Mund hatte Karin kirschrot bearbeitet, und so wirkte Simones Antlitz wie ein abstraktes Aquarell.
»Was wirst du mit dem entzückenden Foto tun? Willst du es auf deiner Love.Letters-Seite placieren?« Sie sprach das Wort gespreizt und sehr französisch aus.
»Um Himmels willen! Damit mein Mann und meine Kunden mich erkennen? Nein, Karin, das geht natürlich nicht. Vielleicht verschicke ich es mal, wenn ich mit jemandem flirte, ja, vielleicht, du weißt doch, dass ich mich nur virtuell amüsieren will.«
Karin grinste. »Naturellement. Wirst du es Karel le Dompteur pour amusement schicken?«
Simone ignorierte die Frage. »Kennst du ihn eigentlich persönlich?«, fragte sie beiläufig.
»In der Tat. Wir trafen uns vor ein paar Monaten. An frühlingsfrischen Sommertagen. Ein extraordinäres Rendezvous. Monsieur Karel le Dompteur ist ein Gentleman, ma chérie, genieße ihn.«
»War es eine Affäre? Siehst du ihn noch?«
Karin leckte sich mit der Zunge über die großen Zähne und lehnte sich lasziv in Simones Bürostuhl zurück. »Es ist alles anders, als du es dir denkst, als ich es mir denke. Die Fahne weht noch, die kleinen Geheimnisse sind noch bei sich, sie werfen noch Schatten, davon lebst du, leb ich, leben wir.«
»Wie bitte?«
»Paul Celan, meine Liebste, Paul Celan.«
Simone verdrehte die Augen. »Und was willst du mir damit sagen, Karin? Sprich doch mal in klaren Worten.«
»Ach, lass mir doch meine stimmungsevozierenden Lyrismen. Du bist très interessiert. An ihm. Nun. Ich sah Monsieur Karel le Dompteur, in einem wunderbaren Hotel, und wir hatten wunderbare Stunden.«
»Er ist ein ... ein besonderer Mann, nicht wahr?«
Karins Augen verengten sich, und Simone dachte spontan an einen Fuchs. Karin beugte sich verschwörerisch vor: »Du weißt, dass er ein Dom ist. Und ich weiß es auch.«
Simone wurde heiß und kalt, sie fühlte sich ertappt, auch wenn sie wusste, dass Karin sie schon längst, nicht erst heute, durchschaut hatte.
Sie dachte in schnellen Sätzen.
Wir sind beide gleich gepolt.
Sie hatte was mit einem dominanten Mann.
Also tickt sie wie ich.
Sie ist auch so eine, ist sie eine Sklavin?
Mag sie Schmerzen?
Braucht sie Schmerzen?
Ist sie der dienende Typ oder der leidende?
Oder beides? Ist sie genauso pervers wie ich?
Warum soll ich ihr nicht vertrauen?
Simone entschloss sich zur Offenheit. »Kannst du mir was über Karel erzählen?«
Sie war nicht wirklich überrascht, als Karin sehr freimütig aus dem Nähkästchen zu plaudern begann.
Ja, sie hatte sich mit Karel getroffen, in einem eleganten Hotel in Nürnberg. Sie schwärmte vom noblen Ambiente der Luxusherberge, sie lobte Karels exzellente Manieren und seine erotische Souveränität. Von Dominanz und Unterwürfigkeit, von einer Session erwähnte sie nichts.
»Seid ihr noch zusammen?«
Karin wich aus. »Monsieur ist eben besonders in seiner Art. Er war ein wenig eifersüchtig, weil ich im Netz noch andere Kontakte hatte. Hm. Das missfiel ihm sozusagen sehrsehr.«
»Warum hattest du denn noch andere Kontakte, obwohl du mit ihm zusammen warst? Es könnte doch was werden können mit ihm und dir – er ist Single, genau wie du.«
Karins Miene nahm einen harten und zugleich verträumten Ausdruck an. Ihre Nasenflügel blähten sich ein wenig, wenn sie atmete. »Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann: Sollt ich die schauerliche Zeit nur mit Gedanken Umgang haben und allein nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun?«, rezitierte sie versonnen.
»Ingeborg Bachmann, nicht wahr?«
Karin nickte. Nachdenklich wandte Simone sich ab und ordnete mechanisch einige Bücher, die auf dem Ladentisch gestapelt waren. Was war das für bloß eine Frau? Sie war keine Schönheit, ganz gewiss nicht, dafür waren ihre Haare zu dünn, die Zähne zu dominant und die Füße zu groß. Karin trug Schuhgröße 43, das war selbst bei ihrem Gardemaß unproportional.
Sie fiel
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