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Bis ich bei dir bin

Bis ich bei dir bin

Titel: Bis ich bei dir bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Hainsworth
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EINS
    E s ist wieder derselbe Traum, den ich schon seit zwei Monaten träume – Viv, die Scherben und Feuer entsteigt, ihr Lachen hallt durch die Nacht. Sie kommt auf mich zu, mit schwingenden Hüften, ein verführerisches Lächeln auf den Lippen. Ich möchte sie so gern berühren, dass es wehtut, möchte meine Finger in ihren schwarzen Haaren vergraben. Sie bildet einen dunklen, umwerfenden Kontrast zu den hellen Flammen, die hinter ihr auflodern. Ich kann es kaum erwarten, ihren Duft einzuatmen – sie riecht wie der Frühling – und über ihre Haut zu streicheln, sie nie mehr loszulassen. Da bleibt sie plötzlich stehen und wendet den Blick ab. Die Flammen tanzen auf ihren Wangen. Ich will schreien, bleibe jedoch stumm, will die Arme nach ihr ausstrecken, kann mich jedoch nicht bewegen. Sie dreht sich um und geht zurück ins Feuer.
    Ich habe sie schon wieder verloren.
    Blinzelnd öffne ich ein Auge und sehe Mike Liu am Ende des langen Bibliothekstischs stehen. Er wirkt verlegen.
    »Hallo, Cam, es hat geklingelt.«
    Ich wische mir den Speichel aus dem Mundwinkel und reibe über die Furchen, die der Spiralblock auf meiner Wange hinterlassen hat. »Danke.«
    Mike wartet unentschlossen und rückt den Rucksack über seiner Schulter zurecht. »Sehen wir uns beim Mittagessen?«
    Ich blicke ihn nicht an. »Klar.«
    Als er weggeht, wünschte ich, ich hätte mehr als zwei Worte zu ihm gesagt. Zwei Worte sind zurzeit alles, was ich für andere übrig habe.
    Noch mehr Schüler verlassen nach und nach die Bibliothek. Ich bin allein.
    Müde lasse ich mich gegen die Stuhllehne sacken und starre zum Fenster hinaus. Von hier hat man einen guten Blick auf die Straßenecke. Ich starre darauf, bis auf einmal etwas an der Scheibe vorbeihuscht – ein schwarzer Haarschopf. Beim Aufspringen werfe ich beinahe den Stuhl um. Ich stehe wie versteinert da, blinzele und begreife, es war nur ein vorbeifliegender Rabe. Erleichtert atme ich auf. Viv ist jetzt seit zwei endlos langen Monaten tot, aber ich sehe sie immer noch überall.
    Und nirgends.
    Draußen ist es viel zu warm für Anfang Oktober. Das Laub hängt noch an den Bäumen, Blumen blühen. Alles ist so furchtbar lebendig . Würde der Winter sich doch beeilen und alles mit Frost überziehen. Eigentlich sollte ich jetzt in der Mathestunde sein, doch stattdessen gehe ich schnurstracks auf ihre Ecke zu. Ich habe extra meinen Stundenplan geändert, damit ich dieses Stück Straße von jedem Unterrichtsraum aus sehen kann. Dem Anschein nach ist es eine ganz normale Kreuzung. Den alten Strommast, der umgeknickt ist, hat man ersetzt, die Grünflächen wieder zusammengeflickt. Die ganzen Karten, Fotos und schlaff gewordenen Plüschtiere gehören fast schon zur Umgebung. Die Blumen, die ich diese Woche hingelegt habe, sind verwelkt.
    Heute ist es auf den Tag genau zwei Monate her.
    Heute Abend.
    Eigentlich will ich ihre lächelnden Konterfeis nicht ansehen, aber eines fällt mir trotzdem ins Auge, das direkt aus dem Schüler-Jahrbuch entnommen wurde. Es stammt aus unserem ersten Jahr auf der Highschool, als sie noch Cheerleader war. Ihre Kurven haben die Uniform damals noch nicht richtig ausgefüllt. Sie trägt rote und weiße Bänder im Haar. Ihre Wangen sehen rosig und gesund aus, ihr Lachen ist noch strahlender, als ich es in Erinnerung habe. Schnell zwinge ich meinen Blick auf die Karten und Zettel mit den Trauerbotschaften, obwohl ich sie alle längst auswendig kann.
    Viv, wir vermissen dich.
    Warum stoßen guten Menschen schlimme Dinge zu? Ich vermisse dich.
    Kann es nicht fassen, dass du fort bist.
    Ich bohre die Fingernägel in meine Handflächen. Die vermissen sie kein Stück. Ich kenne jede einzelne Unterschrift, und keiner von denen hätte sie als Freundin bezeichnet. Man klinkt sich eben nicht ungestraft aus der Gruppe der Anführer und Beliebten aus, wie Viv es getan hat. Entweder hat man von vornherein nie dazu gehört, oder man fällt in Ungnade so wie ich.
    Ich brauche eine Zigarette.
    Unten in meiner Tasche muss ein Päckchen sein, und ich wühle durch Hefte und lose Seiten danach. Meine Finger streifen Zellophan, woraufhin ich die halb zerdrückte Schachtel herausziehe und gegen den Handballen klopfe. Ich stecke mir eine Zigarette zwischen die Lippen und taste nach einem Feuerzeug. Meine Hosentaschen sind voller Mist, und ich werde jedes Mal gereizt, wenn ich nicht gleich eines finde. Schließlich nehme ich die Schultasche von der Schulter und krame darin herum, bis ich eine

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