Im Reich des Wolfes
hatte aber keine Kraft mehr, und als Waylander sich erhob und zu ihm ging, ließ er nur noch ein müdes Grollen hören.
»Du kannst damit aufhören«, sagte Waylander und streichelte sanft den großen grauen Kopf des Tieres. An den Wunden konnte er ersehen, daß der Hund den Bären mindestens dreimal angegriffen hatte. Aus vier parallelen Kratzern in seinem Fell sickerte Blut; die Haut hatte sich zurückgezogen, so daß Muskeln und Fleisch zu sehen waren. Nach der Größe der Klauenspuren zu urteilen, mußte der Bär sehr groß gewesen sein. Waylander steckte sein Messer weg und untersuchte die Wunden. Einige Muskeln waren zerfetzt, aber er konnte keine gebrochenen Knochen finden.
Wieder ließ der Hund ein tiefes Grollen hören, als Waylander einen Hautlappen zurechtzog. Das Tier versuchte, den Kopf zu drehen und die Zähne zu blecken. »Bleib still liegen«, befahl der Mann, »wir werden sehen, was wir tun können.« Aus einem Lederbeutel an seinem Gürtel nahm Waylander eine lange Nadel und einen dünnen Faden und nähte damit die größte Wunde zusammen, um so den Blutstrom zu stoppen. Schließlich war er zufrieden und kraulte das Tier hinter den Ohren. »Du mußt versuchen aufzustehen«, sagte er mit leiser, beruhigender Stimme. »Ich muß mir deine linke Seite ansehen. Hoch, Bursche!« Der Hund mühte sich ab, sank aber wieder zu Boden. Die Zunge hing ihm aus dem großen Maul.
Waylander stand auf und ging aus der Höhle zu einem umgestürzten Baum, von dem er einen langen Streifen Rinde schnitt, die er zu einer flachen Schale bog. In der Nähe war ein kleiner Wasserlauf, an dem er die Schale füllte. Er trug sie zurück zu dem verwundeten Hund und hielt sie ihm unters Maul. Die Nüstern des Tieres bebten, und wieder versuchte es mühsam, sich zu erheben. Waylander schob seine Hand unter die gewaltigen Schultern und half ihm auf die Füße. Der Kopf senkte sich, die Zunge schlappte langsam das Wasser auf. »Gut«, sagte Waylander. »Gut. Trink alles auf.« Auf der linken Flanke des Hundes waren noch vier ausgefranste Wunden, die jedoch mit Schmutz und Erde verklebt waren, was wenigstens die Blutungen gestillt hatte.
Nachdem der Hund gesoffen hatte, sank er wieder erschöpft zu Boden. Der große Kopf ruhte auf den gewaltigen Pfoten. Waylander setze sich neben das Tier, das ihn beäugte, ohne zu blinzeln. Er sah die vielen Narben, alte und neue, die kreuz und quer über die Flanken und den Kopf des Hundes verliefen. Das rechte Ohr war ihm vor ein paar Jahren abgerissen worden, und eine lange Narbe erstreckte sich von der Schulter zum ersten Gelenk des rechten Beines. »Bei den Göttern, du bist ein Kämpfer, Bursche«, sagte Waylander bewundernd. »Und du bist kein Jüngling mehr. Wie alt bist du? Acht? Zehn? Na, diese Feiglinge haben sich jedenfalls geirrt. Du wirst nicht sterben, oder? Die Genugtuung gibst du ihnen nicht, was?«
Der Mann griff in sein Hemd und zog ein Stück Trockenfleisch hervor, das in ein Tuch gewickelt war. »Damit wollte ich noch zwei Tage auskommen«, sagte Waylander, »aber ich kann es auch eine Zeitlang ohne Mahlzeit aushalten. Bei dir bin ich mir da nicht so sicher.« Er faltete das Tuch auseinander, nahm sein Messer und schnitt ein Stück Fleisch ab, das er dem Hund vorlegte. Das Tier sc hnüffelte lediglich daran; dann blickten die braunen Augen wieder den Mann an. »Friß, du Dummkopf«, sagte Waylander, nahm das Fleisch und hielt es dem Hund an die langen Zähne. Die Zunge schoß vor, und der Mann beobachtete, wie der Hund müde kaute. Langsam, während die Stunden vergingen, fütterte er den verletzten Hund mit dem restlichen Fleisch. Im letzten Licht des Tages warf er noch einen Blick auf die Wunden. Die meisten hatten sich geschlossen, wenn auch aus der tiefsten Verletzung an der rechten hinteren Flanke noch Blut sickerte.
»Mehr kann ich nicht für dich tun, mein Junge«, sagte Waylander und stand auf. »Viel Glück. Wenn ich du wäre, würde ich hier nicht mehr allzu lange bleiben. Möglicherweise kommen diese Schwachköpfe zurück, um dich zu jagen - und diesmal bringen sie vielleicht einen Bogenschützen mit.« Ohne sich noch einmal umzusehen, verließ der Mann den Hund und ging zurück in den Wald.
Der Mond stand schon hoch, als er einen Lagerplatz fand, eine geschützte Höhle, so daß man sein Feuer nicht sehen konnte. Er saß noch bis tief in die Nacht, in seinen Umhang gewickelt. Er hatte für den Hund getan, was er konnte, aber das Tier hatte nur eine geringe
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