Im Reich des Wolfes
Fleisch zu hacken. Rauch stieg träge von den brennenden Zelten auf und bildete einen grauen Vorhang über dem Schauplatz des Massakers.
Angel lenkte sein Pferd auf die Ebene hinunter. Die vollgefressenen Geier, die dem Reiter am nächsten waren, watschelten davon, die anderen beachteten ihn nicht weiter.
Belash und Shia ritten an Angels Seite. »Das war der Grünaffen-Stamm«, sagte Belash. »Keine Wölfe.« Er schwang sich aus dem Sattel und ging zwischen den Toten umher.
Angel blieb im Sattel. Links von ihm war ein kleiner Kreis von Toten, die Männer am Außenrand, Frauen und Kinder innen. Offensichtlich waren die letzten Krieger gestorben, als sie ihre Familien verteidigten. Eine Frau hatte ihr Baby mit dem eigenen Körper zu schützen versucht, aber die abgebrochene Lanze, die aus ihrem Rücken ragte, war auch durch den Leib des Säuglings gedrungen.
»Müssen mehr als hundert Tote sein«, sagte Senta. Angel nickte. Rechts von ihm lagen die Leichname von fünf Kleinkindern mit zerschmettertem Schädel, die vor einen Wagen geworfen worden waren. Blutflecken auf den Rädern zeigten deutlich, auf welche Weise die Babys getötet worden waren.
Belash ging zurück zu Angel. »Mehr als tausend Soldaten«, sagte er. »Auf dem Weg in die Berge.«
»Mutwilliges Gemetzel«, wisperte Angel.
»Ja«, gab Belash ihm recht. »Sie können ja nicht alle schlecht sein, wie?«
Angel fühlte glühende Scham in sich aufsteigen, als Belash seine eigenen Worte wiederholte, aber er sagte nichts, sondern zog an den Zügeln und galoppierte zurück auf den Hügel, wo Miriel wartete.
Ihr Gesicht war aschgrau, und sie umklammerte den Sattelknauf so fest, daß ihre Knöchel weiß hervortraten. »Ich kann ihre Schmerzen fühlen, Angel«, sagte sie. »Ich kann es fühlen. Ich kann es nicht ausblenden.«
»Dann versuch es gar nicht erst«, sagte er.
Sie stieß einen schaudernden Seufzer aus; große Tränen rannen ihr über die Wangen. Angel stieg ab, hob sie aus dem Sattel und hielt sie fest an sich gedrückt, als abgehackte Schluchzer ihren Körper schüttelten. »Es ist im Land«, sagte sie. »All die Erinnerungen. Getränkt in Blut. Das Land weiß.«
Er rieb ihren Rücken und strich ihr übers Haar. »Dieses Land hat schon oft Blut gesehen, Miriel. Und diesen Menschen hier kann niemand mehr weh tun.«
»Was für Männer können so etwas tun?« tobte sie. Zorn verdrängte ihren Kummer.
Angel wußte keine Antwort. Einen Mann im Kampf zu töten, das verstand er, aber ein Baby bei den Füßen zu nehmen und ... er schauderte. Das ging über jedes Verständnis hinaus.
Belash, Shia und Senta kamen den Hügel hinauf. Miriel wischte sich die Augen und blickte Belash an. »Die Soldaten sind zwischen uns und den Bergen«, sagte sie. »Dies ist dein Land. Was rätst du uns?«
»Es gibt Pfade, die sie nicht kennen«, antwortete er. »Ich werde euch führen - wenn du noch immer weiterwillst.«
»Warum sollte ich nicht?« entgegnete Miriel.
»Wo wir hinreiten, Frau, wird es keine Zeit für Tränen geben. Nur Schwerter und aufrichtige Herzen.«
Sie lächelte ihn an, ein kaltes Lächeln, und stieg auf ihr Pferd. »Du führst uns, Belash. Wir folgen dir.«
»Warum tust du das?« fragte Shia. »Wir sind nicht dein Volk, und Angel haßt die Nadir. Warum also?«
»Weil Kesa Khan mich gebeten hat«, antwortete Miriel.
»Das akzeptiere ich«, sagte das Mädchen nach einem Augenblick. »Aber was ist mit dir?« Sie wandte sich an Senta.
Senta lachte leise und zog sein Schwert. »Diese Klinge«, erwiderte er, »wurde extra für mich von einem Meister der Waffenschmiedekunst gefertigt. Es war ein herrliches Geschenk. Eines Tages kam er zu mir und zeigte mir das Schwert. Kein Mann hat mich je mit einem Schwert besiegt, und ich bin ziemlich stolz darauf. Aber, weißt du, ich habe den Waffenschmied nicht nach der Qualität des Stahls gefragt oder wieviel Mühe er sich mit der Bearbeitung gegeben hat. Ich habe einfach das Geschenk angenommen und ihm dafür gedankt. Verstehst du?«
»Nein«, antwortete sie. »Was hat das mit meiner Frage zu tun?«
»Als ob man einem Fisch Lesen und Schreiben beibringen wollte«, sagte Senta kopfschüttelnd.
Angel ritt heran und beugte sich weit zu Shia hinüber. »Wir wollen es mal so sagen, meine Dame. Er und ich sind die besten Schwertkämpfer, die du jemals sehen wirst. Aber die Gründe, weshalb wir hier sind, gehen dich verdammt noch mal nichts an!«
Shia nickte ernst. »Das stimmt«, gab sie zu. In ihrer
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