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Im Schatten des Ringes

Im Schatten des Ringes

Titel: Im Schatten des Ringes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Felice
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du?“ fragte Baltsar. Ich nickte, und Baltsar schüttelte den Kopf. „Es ist schon sehr lange her, daß diese Kreaturen in einer Weise wild lebten, wie du es wahrscheinlich meinst. Ihr Verhalten erinnert an kein Haus- oder Raubtier, das ich je gesehen habe. Ihre Instinkte sind überlebensorientiert, jedoch sind sie ungenügend oder nicht hinreichend verstanden und erkannt. Selbst ihre Herkunft ist ein Rätsel.“
    „Ich habe gehört, daß die Tempelhüterinnen im Tiefland eine von den Göttern gesandte Vision hatten, in der es hieß, daß ein riesiges Lastentier geschaffen wurde und sie am Rand des Immernachtgebirges ausgesetzt hat.“
    Baltsar merkte auf, dann meinte er ruhig: „Ja, natürlich. „ Er entfernte die Wollpolster von meinem Fuß und wickelte dann mit ungewöhnlicher Konzentration die letzte Bandage ab. Er hielt inne, als er die Bandage zur Hälfte entfernt hatte. „Glaub nicht alles, was die Tempelhüterinnen dir erzählen, Heao. Nicht alle sind so aufrichtig, wie sie erscheinen.“
    Ich begriff sein Zögern. Es war nicht klug, von den Hüterinnen anders zu reden als verehrend und lobend, vor allem nicht gegenüber einem flüchtigen Bekannten. Ich legte meinen Schwanz um seine Hände, als wären wir sehr enge Freunde. „Tempelpolitik gehörte zu den ersten Lektionen, die Rellar mich gelehrt hat“, sagte ich. „Nachdem du eine Saison in unserer Stadt verbracht hast, müßtest du längst gemerkt haben, daß wir von Akadem auf dem schmalen Grat zwischen Wahrheit und Häresie einhergehen.“
    Baltsars Pupillen verengten sich zu Schlitzen, und die Iris schimmerten wie brennendes Silber. „Die meisten von Akadem sind alt und sehr weise. Ich achte ihr Wissen. Du bist so jung …“
    „ … daß du glaubtest, man müßte mich warnen, was die Doppelzüngigkeit der Hüter, die Komplexheit ihrer Motive und ihre eingleisige Gier nach Macht angeht? Danke, Baltsar. Ich weiß sehr gut, daß deine Warnung nicht ganz ungefährlich war.“
    „Du bist jedes Risiko wert, denn du bist einmalig.“
    Wie das, wollte ich fragen, doch ich konnte es nicht. Und er, der sich so seltsam formell ausdrückte und gleichzeitig einen erfrischend unorthodoxen Lebensstil pflegte, war er nicht auch einmalig? Ich ließ seine Hände los und wackelte spielerisch mit dem Schwanz.
    Baltsar lächelte. „Hat dein Meister dir die Erlaubnis gegeben?“
    Verlegen ließ ich den Schwanz sinken, denn ich erkannte, daß das, was ein Gefährte als Einladung zu einem Körperspiel verstanden hätte, von einem Erwachsenen, vor allem einem fremden, sehr leicht als Wunsch zum Beilager angesehen werden könnte. Ich war noch nicht einmal in Hitze, was Baltsar sicherlich wußte, doch wenn die Tempelhüterinnen fern sind, dann hat das Fehlen biologischer Voraussetzungen bisher nur selten die Leute von ihren Absichten abgehalten. Aber ich hatte von Rellar nicht die Erlaubnis bekommen. Ich hatte noch nicht einmal daran gedacht, ihn darum zu bitten.
    Baltsar legte eine Hand auf meine Schulter. „Ich erkenne an deiner Reaktion, daß ich dich mißverstanden habe. Bitte vergib mir; ich würde sehr gerne mit dir spielen. Aber erst einmal will ich das hier erledigen.“
    Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Bandagen zu … doch er beendete seine Tätigkeit nicht richtig. Er bürstete meinen verklebten Pelz mit seinem eigenen leicht öligen Fell und bewegte sich dabei an meinen Beinen viel höher als nötig war. Mit einem erwachsenen Mann zu spielen, sich zu streicheln und zu necken war viel anstrengender und verführerischer als die schüchternen Liebkosungen der Jungen, die ich kannte, und es machte zudem viel mehr Spaß. Es war verwunderlich, daß unser Jaulen die Sklaven nicht weckte.
     
3
     
    Während der Nacht rollte Baltsar sich in seine Decke und schlief. Mein Blut rauschte immer noch von seiner Nähe, und ich wußte, daß ich nicht einschlafen konnte. Ich holte meine Zeichenutensilien hervor und skizzierte das Gesicht des schlafenden Kaufmanns. Als seine Gesichtszüge schließlich in groben Strichen fixiert waren, hatte ich ihn auch oft genug angeschaut, um sicher sein zu können, daß ich mich an jede Einzelheit erinnern konnte: an die Form und die Stelle eines kleinen Einschnitts in seinem Ohr, die Art und Weise, wie er seinen Gesichtspelz bürstete, um eine kleine Narbe zu verdecken, den Schwung seiner Augen, die klare Linie seines Mundes und den widerspenstigen Wirbel in seinem Nackenpelz. Dann verstaute ich die Zeichnung und freute mich

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