Im Schwarm - Ansichten des Digitalen
fremd. Die Information ist ihrem Wesen nach etwas, was offen vorliegt, oder offen vorzuliegen bat. Der Imperativ der Transparenzgesellschaft lautet: Alles muss als Information offen vorliegen, jedem zugänglich. Die Transparenz ist das Wesen der Information. Sie ist ja die Gangart des digitalen Mediums.
Heideggers »Wahrheit« liebt es, sich zu verbergen. Sie liegt nicht einfach vor. Sie muss erst der »Verborgenheit« »entrissen« werden. Die Negativität der »Verborgenheit« wohnt der Wahrheit als deren »Herz« inne. 36 Sie gehört wesentlich zu ihr. Als »Unverborgenheit« ist sie vom Verborgenen umgeben wie die Lichtung vom dunklen Wald.
Der Information fehlt dagegen der Innenraum, die Innerlichkeit, die ihr erlauben würde, sich zurückzuziehen oder sich zu verbergen. In ihr schlägt, so würde Heidegger sagen, kein Herz. Eine reine Positivität, eine reine Äußerlichkeit zeichnet die Information aus.
Die Information ist kumulativ und additiv, während die Wahrheit exklusiv und selektiv ist. Im Gegensatz zur Information bildet sie keinen Haufen. Man begegnet ihr nämlich nicht häufig. Es gibt keine Wahrheitsmasse. Informationsmasse hingegen gibt es. Ohne Negativität kommt es zu einer Vermassung des Positiven. Aufgrund ihrer Positivität unterscheidet sich die Information auch vom Wissen. Das Wissen liegt nicht einfach vor. Man kann es nicht einfach vorfinden wie Information. Ihm geht nicht selten eine lange Erfahrung voraus. Es besitzt eine ganz andere Zeitlichkeit als die Information, die sehr kurz und kurzfristig ist. Die Information ist explizit, während das Wissen oft eine implizite Form annimmt.
Erde, Gott und Wahrheit gehören zur Welt der Bauer. Heute sind wir keine Bauern mehr, sondern Jäger. Auf der Suche nach Beute schweifen die Informationsjäger durch das Netz wie durch ein digitales Jagdfeld. Im Gegensatz zu Bauern sind sie mobil. Kein Ackerboden zwingt sie, sich niederzulassen. Sie wohnen nicht. Der Mensch im Maschinenzeitalter ist insofern nicht gänzlich vom Habitus des Bauern befreit, als er noch an die Maschine als seinen neuen Herrn gebunden ist. Sie zwingt ihn dazu, passiv zu funktionieren. Der Arbeiter kehrt zur Maschine zurück wie der Knecht zum Herrn. Die Maschine bildet die Mitte seiner Welt. Das digitale Medium bringt eine neue Topologie der Arbeit hervor. Der digitale Arbeiter besetzt die Mitte. Genauer gesagt, gibt es hier keine Mitte mehr. Der User und sein digitaler Apparat bilden vielmehr eine Einheit. Die neuen Jäger funktionieren nicht passiv als Teil einer Maschine, sondern operieren aktiv mit ihren mobilen digitalen Apparaten, die bei paläolithischen Jägern Speere, Bögen und Pfeile hießen. Sie begeben sich dabei nicht in Gefahr, denn sie jagen mit der Maus nach Informationen. Darin unterscheiden sie sich von den paläolithischen Jägern.
Macht und Information vertragen sich nicht gut. Die Macht hüllt sich gerne ins Geheimnis. Sie erfindet die Wahrheit, um sich zu inthronisieren und zu inaugurieren. Macht wie Geheimnis sind durch Innerlichkeit gekennzeichnet. Das digitale Medium ist dagegen entinnerlichend. Den Informationsjägern erscheinen die Machtinstanzen als Barrieren für Informationen. So ist die Forderung nach Transparenz ihre Strategie.
Massenmedien wie das Radio begründen ein Machtverhältnis. Ihre Empfänger sind passiv einer Stimme ausgeliefert. Die Kommunikation erfolgt hier einseitig. Diese asymmetrische Kommunikation ist keine Kommunikation im eigentlichen Sinne. Sie ähnelt einer Verkündigung. Daher haben solche Massenmedien eine Affinität zur Macht und Herrschaft. Die Macht forciert die asymmetrische Kommunikation. Je höher der Grad der Asymmetrie ist, desto größer ist die Macht. Die digitalen Medien generieren dagegen ein genuin kommunikatives Verhältnis, das heißt, eine symmetrische Kommunikation. Der Empfänger der Information ist gleichzeitig der Sender. In diesem symmetrischen Kommunikationsraum kann man schlecht Machtverhältnisse installieren.
Flusser zufolge zwingen uns die Orkane der Medien wieder zu nomadisieren. Nomaden aber sind Viehzüchter. Ihnen fehlt die Mentalität der Jäger. Die Trennlinie zwischen Vergangenheit und Gegenwart verläuft nicht zwischen Sesshaften und Nomaden, sondern zwischen Bauern und Jägern. Selbst die Bauern verhalten sich heute wie Jäger. Verhaltensweisen wie »Geduld«, »Verzieht«, »Gelassenheit«, »Scheu« oder »Schonen«, die Heideggers Bauer auszeichnen,
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