Im Stein
wem ich meine Miete zahle. Obwohl der Alte, der Chef, schon ’n angenehmer Chef ist und ich mich auch sicher fühle. Geht weiter. Einfach weiter.
War pflegeleicht, der Junge. Keine großen Schweinereien. Und da muss ich wieder an Schweine-Hans denken. Und was der wohl jetzt macht. In Clubs würde ich nicht mehr arbeiten. Zu viel Alk, zu schlechte Luft. Da zünde ich mir gleich eine an. Hat alles seine Vor- und … Geschichten erzählen, von nah und von fern, Geschichten erzählen, die keiner mehr weiß. Fragt doch die Leute, fragt doch die Leute … Das summe ich vor mich hin. Hat so ’n Typ mit Klampfe im Fernsehen gesungen, als ich klein war. Und dann kam immer ’n Trickfilm. Manche der Gäste stehen total auf Prostatamassagen. Ist jetzt ’n neuer Trend. Zieh die Gummihandschuhe an. Ist aber besser, als wenn sie losrammeln wie Black&Decker Black&Decker Black& Decker … Endlosschleife in meinem Kopf. Einmal bin ich mit Hans nach Feierabend in diese Vierundzwanzig-Stunden-Kneipe gegangen, wo die alle rumhingen. Da hat er meistens Roulade mit Rotkraut und Klößen gegessen, direkt am Tresen. Und Sekt und Wein hat er ausgegeben. Der Chef, also mein jetziger Chef, war manchmal auch da. Ist alles längst viel ruhiger geworden. Der Chef auch, seit er aus dem Krankenhaus zurückkam, damals, aber da habe ich ja noch bei Hans gearbeitet. Und einmal ist der Hans abgehauen, hat sogar die Rouladen stehen gelassen, da wollte er nach Amerika. Manchmal tauchen so Erinnerungsblöcke plötzlich wieder auf bei mir. Aber sowas kann man auch nicht vergessen. Glaubt mir keiner die Geschichte, wenn ich sie erzähle. Weil er behauptet hat, dass in Amerika auf den Klopapierrollen draufsteht, wie oft du damit kacken kannst. Dreihundert Shits pro Rolle, hat er behauptet, aber vielleicht war’s auch ’ne andere Zahl.
Das war dann paar Monate das Gesprächsthema bei uns. Hans in Amerika. War das zweitausendeins? Wie lange das schon wieder her ist. Und die haben ihn alle ausgelacht, von wegen dreihundert Shits. Weil doch jeder anders kackt. Aber der Schweine-Hans hat einfach nicht lockergelassen. Ist eben Amerika, hat er gesagt, das is ’ne andere Welt. Und ’ne Woche später war er wieder da und hat ’ne Rolle mitgebracht und die in dieser Vierundzwanzig-Stunden-Kneipe auf die Theke gelegt. Und da stand dann wirklich was von dreihundert oder tausend, war eine ziemlich hohe Zahl. Aber nix mit Shits, mein lieber Hans. Da stand nämlich »Sheets«. Und das heißt »Blatt«, also »Blätter«, so wie an meiner Zewa-Küchenrolle. In Englisch war ich immer gut. Und Hans hat richtig Geld verloren, weil er natürlich gewettet hat, warn das noch Mark oder Euro?, weil er nach der Wende mal in New York gewesen ist. Pauschalreise. Da hat er oft von erzählt. Als ich damals bei ihm angefangen hab.
Das Telefon klingelt. Eigentlich klingelt’s gar nicht, es steht neben mir auf dem Tisch im Aufladegerät, und nur das Display blinkt immer wieder wie ein kleiner Leuchtturm. Hab das Klingeln weggeschaltet. Hab eh immer ’n Auge drauf. Geh auch nicht ran, wenn ich mitten bei der Arbeit bin.
Ich nehme die Fernbedienung, mache den Fernseher leise, als der Welpe weg war, habe ich den Ton ganz laut gedreht, auch wenn’s nur ’ne blöde Show war, mit Untertiteln, wo sie hässliche Kerle mit hässlichen Fruggen verkuppeln, irgendwo auf der Welt.
Über Clemens Meyer
Clemens Meyer, geboren 1977 in Halle / Saale, lebt in Leipzig. 2006 erschien sein Debütroman ›Als wir träumten‹, es folgten ›Die Nacht, die Lichter. Stories‹ (2008) und ›Gewalten. Ein Tagebuch‹ (2010). Für sein Werk wurde Clemens Meyer mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Preis der Leipziger Buchmesse.
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Impressum
Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2013
Coverabbildung: Markus Uhr; courtesy Laden fuer Nichts
Covergestaltung: hißmann, heilmann, hamburg
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ISBN 978-3-10-402815-6
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