Die Flotte der Caer
Horst Hoffmann
DIE FLOTTE DER CAER
Sie kamen mit dem ersten Morgenlicht und schienen die Strahlen der aufgehenden Sonne zu schlucken.
Schwarze Schiffe bildeten eine dunkle Linie auf der Straße der Nebel zwischen dem Land- und dem Inselteil Tainnias. Caer-Schiffe, eine Flotte, mächtiger als in den düstersten Visionen des Mannes, der einsam auf einem der Wachtürme der Hafenanlage von Elvinon stand, nur von ein paar Kriegern umgeben, die er nicht einmal mehr wahrnahm.
Herzog Krude von Elvinon hatte sie erwartet. Er hatte gewusst, dass Caer sich nicht auf die Herzogtümer auf der Insel beschränken würde - Ambor und Akinborg waren fest in der Hand der blutrünstigen Krieger und ihrer besessenen Priester, die sie mit den Kräften der Dunklen Magie vorantrieben. Caer griff nun nach dem Kontinent; nach Elvinon, Akinlay, Nugamor und Darain. Nach ganz Tainnia, nach den angrenzenden Reichen, nach dem Rest der Lichtwelt. Hungrige Wölfe, die über die untereinander zerstrittenen Schafe herfielen.
Verbitterung zeichnete sich auf dem Gesicht des Herzogs ab und ließ ihn um Jahre gealtert erscheinen. Vergeblich hatte er auf Hilfe von den anderen Herzogtümern gewartet. Seine Kuriere waren mit Absagen oder Vertröstungen zurückgekehrt - plumpen Ausreden. Alles, was Elvinon den Invasoren entgegenwerfen konnte, war die eigene Flotte, die diesem gigantischen Aufgebot der Caer hoffnungslos unterlegen war.
Krude hatte sich damit abzufinden, dass er diesen Kampf allein durchfechten müsste. Und was er sah, zerstörte seine letzten Hoffnungen. Der Herzog konnte die schwarzen Schiffe nicht zählen, aber es mussten Tausende sein - vier- oder gar fünftausend.
Schreie hallten über das Hafengelände. Herzog Krude senkte den Blick und beobachtete, wie seine Flotte auslief, um den Gegner noch auf offener See zu stellen und zu verhindern, dass er erst seinen Fuß auf das Land setzen konnte. Krieger gingen an Bord, besetzten die Ruderbänke, setzten die Segel. Kommandos wurden gebrüllt. Krude begegnete den Blicken von Männern, die wussten, dass sie in den Tod gingen. Sie alle hatten von der Schwarzen Magie der Caer-Priester gehört, und für viele war Caer gleichbedeutend mit dem dunklen Rand der Welt, dem Sitz alles Bösen und Finsteren, von Dämonen und Kreaturen, die sich auszumalen nicht einmal die kühnste Phantasie in der Lage war.
Herzog Krude versuchte vergeblich, seine düsteren Visionen zu verscheuchen. Mut war alles, was er seinen Kriegern geben konnte. Sie sollten ihn sehen, aufrecht und voller scheinbarer Zuversicht. Kein Muskel zuckte im Gesicht des Mannes, der in voller Rüstung auf dem Wachturm stand, dann und wann die Hände hob und die Krieger zur Eile trieb.
Die Alarmfanfaren waren verstummt. Nicht einmal sie hatten Nyala, des Herzogs Tochter, herbeibringen können, die in dieser Stunde größter Gefahr nicht an der Seite ihres Vaters war. Krude bebte innerlich, als er daran dachte, dass die auf ungeklärte Weise in den Palast eingedrungenen Caer mit Nyala entkommen konnten. Alles in Krude drängte darauf, von den Zinnen zu steigen und selbst die Suche aufzunehmen.
Sein einziger schwacher Trost war, dass auch Mythor verschwunden war. Die tot in den Korridoren und der Halle des Schlosses liegenden Feinde waren durch seine Hand gestorben. Mythor war hinter den Entführern her, und wenn es jemanden gab, der Nyala retten konnte, dann war er es.
Es war ungeheuerlich, dass ein Caer-Trupp unbemerkt in die Stadt und gar ins Schloss hatte eindringen können, obwohl man in Elvinon wusste, dass einige ihrer Schiffe im Schutz des Nebels bereits an versteckten Stellen der Küste gelandet waren.
Die letzten Schiffe verließen den Hafen. Die dunkle Mauer rückte heran. Schon waren einzelne Caer-Schiffe zu erkennen. Selbst die Segel waren schwarz - schwarz wie die Seelen der Besatzungen.
Stille senkte sich über die See und Elvinon. Krude blickte sich unter seinen Kriegern auf dem Wachturm um und sah blanke Furcht in ihren Augen. Sie waren nicht feige. Sie würden bis zum letzten Blutstropfen kämpfen, für ihn und für Elvinon, aber jeder von ihnen wünschte sich, mit einem Schwert im Leib zu sterben, im Kampf gegen Gegner aus Fleisch und Blut.
Die Priester der Caer waren für sie keine Menschen aus Fleisch und Blut.
Völlige Stille. Selbst die Möwen waren verschwunden, und die Luft schien stillzustehen. Alles ringsum schien vor dem Aufeinanderprallen der mächtigen Flotten zu erstarren und den Atem
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