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Im Tal der bittersüßen Träume

Im Tal der bittersüßen Träume

Titel: Im Tal der bittersüßen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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doch so gut.«
    »Und wenn du mein dritter Arm wärst, ich würde ihn mir abschneiden!« Högli nahm ihm die Spritze weg. »Mach, daß du rauskommst, Juan!«
    Der Krankenpfleger nickte, zog seinen weißen Kittel aus, faltete ihn zusammen, legte ihn Evita auf den Schoß und verließ mit gesenktem Haupt das Zimmer. Pater Felix rutschte vom Tisch und taumelte zum Fenster. Er hielt sich am Fensterbrett fest und blickte hinaus.
    Es gab keine Berge mehr, nur noch herunterstürzendes Wasser. Vor dem Hospital hatte sich ein See gebildet, der nach allen Seiten abfloß. Das Dorf lag tiefer, hier war man auf einem flachen Plateau, trotzdem konnte nicht soviel abfließen, wie aus dem Himmel fiel. Im Dorf mußte es fürchterlich sein, der felsige Boden war wie eine Wanne, die unaufhaltsam vollief. Und von den Felshängen schossen die Wassermassen nach Santa Magdalena hinein – das einzige Becken, in dem sich die Flut sammeln konnte.
    »Meine Kirche«, sagte Pater Felix dumpf. »Gott im Himmel, was wird aus meiner Kirche!«
    »Jetzt ist er wieder da!« Dr. Högli trat hinter Pater Felix und stieß ihm die dritte Spritze im Stehen in den Oberschenkel.
    »Sie Viehdoktor!« sagte Pater Felix heiser. »Ich muß raus!«
    »Verrückt! Wohin denn?«
    »Zu meinen Indios! Wo sind meine Indios? Und mein Kreuz! Ich habe meinen Christus bei Paddy zurückgelassen! Riccardo, sein Wagen steht noch vor der Tür! Ich muß ins Dorf und zurück zur Hacienda!«
    »Ich begleite dich«, sagte Evita plötzlich. Sie stand auf und legte Juans zusammengefalteten weißen Kittel auf den Tisch. »Sag nichts, Riccardo! Versuche nicht, mich zurückzuhalten! Ich bin bei dir geblieben und habe nichts gefragt und habe nur an dich gedacht. Aber jetzt muß ich noch einmal hinaus!«
    »Das ist doch völlig unmöglich, Evita! Felix, auch du bleibst hier! Was soll dieser Wahnsinn! Wohin willst du denn?«
    »Auch ich habe etwas vergessen«, sagte Evita. Ihre Stimme klang ruhig, mit einem Unterton, der keine Diskussion mehr zuließ. Und wenn ich mich auf sie stürze und sie zu Boden schlage, dachte Dr. Högli – sie bleibt hier. Später wird sie mir dafür dankbar sein. Was hat sie denn so Wichtiges vergessen, daß sie in diese ertrinkende Welt hinauslaufen will? So Wichtiges gibt es gar nicht.
    »Der Pater hat sein Kreuz vergessen«, sagte Evita und ging zur Tür. Dr. Högli atmete schwer. Jetzt, dachte er. Jetzt gleich. Zu Boden schlagen – anders ist sie nicht aufzuhalten. »Ein Kreuz aus Holz mit einem geschnitzten Christus hat der Pater vergessen«, sagte Evita und blickte Dr. Högli starr an. »Bemalt mit bunten, kitschigen Farben … Aber ich habe meinen Vater vergessen! Keiner denkt an meinen Vater. Wo ist Miguel Lagarto? Was er auch getan hat – er ist mein Vater! Warum kümmert sich niemand um ihn?«
    Sie riß die Tür auf und rannte davon.
    »Hinterher!« schrie Dr. Högli. »Felix, ihr nach! Evita! Bleib stehen!« Er stürzte durch den langen Gang, sah Evita durch die Ambulanz hetzen und wußte, daß dies der nächste Weg zu Paddys Wagen war. Neben ihm lief Pater Felix, er überholte Dr. Högli fast mühelos und rannte mit seinen nackten, nassen Füßen so schwerelos, als berühre er die Dielen gar nicht.
    »Das macht Ihre Vitaminspritze!« rief er, als er an Högli vorbeizog. »Ich empfehle sie Ihnen auch!«
    Wir haben ihn wieder, den alten Pater Felix, dachte Högli. Manchmal möchte man ihm das Genick umdrehen!
    Er erreichte den Ausgang der Ambulanz, als Evita gerade in den Wagen kletterte und Pater Felix sich geistesgegenwärtig in die Fahrtrichtung warf.
    Aus dem Himmel und von den Bergen rauschte das Wasser.
    Santa Magdalena ertrank.
    Nur zwei Sekunden zögerte Evita Lagarto, lange genug, um einen Blick auf Pater Felix zu werfen, der vor dem Wagen stand und die Arme weit ausbreitete. Der Regen klatschte auf ihn herab wie Peitschenschläge. Aus den Bergen quoll drohend und erschreckend anwachsend der grollende Ton sich bewegender Bergmassen. Es klang, als stürzten die Felsen ein, als werde eine neue Landschaft geschaffen, als verändere sich die Welt.
    Evita drehte den Zündschlüssel, umklammerte das Lenkrad und ließ den Motor aufheulen: Aus dem Weg! Pater Felix, geh aus dem Weg!
    Dr. Högli hatte den Wagen erreicht und enterte die Tür. Er riß sie auf, aber Evita stieß ihn wieder zurück. Er fiel in den zu Schlamm aufgeweichten Boden, rappelte sich sofort wieder auf und hängte sich an die noch offen stehende Tür.
    »Evita!« brüllte er.

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