Im Tal der bittersüßen Träume
heraus.
» Cardiazol !« schrie Högli die Schwester an, die fassungslos den ohnmächtigen Pater anstarrte. »Seid ihr denn auch alle verrückt geworden?« Er rannte ins Haus, kurz vor der Tür stieß er mit Tenabo und Lopez zusammen. »Ihr Hubschrauber ist explodiert«, sagte er zu dem Sergeanten. »Und Sie, Tenabo, können ein gutes Werk tun und zur Hacienda fahren. Holen Sie Mr. Paddy ab! Sie können den Wagen benutzen. Mit neunzigprozentiger Sicherheit hat Ihr Chef die Cholera! Los, glotzen Sie nicht! Holen Sie Paddy!«
Tenabo nickte. Aber er wandte sich nicht zu dem Wagen, sondern drehte sich um und ging zurück ins Hospital. Dr. Högli hielt ihn am Kragen des nassen Schlafanzuges fest. Tenabo wehrte sich nicht, er blieb nur stehen und zog den Kopf zwischen die Schultern.
»Scheißkerl!« sagte Dr. Högli. »Vor einer Woche hast du ihn noch angebetet wie einen Gott!«
»Ich bin krank, Doktor.« Tenabo taumelte gegen die Wand, als Dr. Högli ihn von sich stieß. »Aber dann regnete es … Wer kann da im Bett bleiben! Sie sind auf Händen und Knien in den Regen gekrochen. Wir haben die anderen hinausgetragen. Regen, Doktor! Regen! Jetzt muß ich wieder ins Bett.«
Dr. Högli rannte weiter. In der Ordination lag Pater Felix auf dem Tisch. Evita und die Schwester schlossen ein Sauerstoffgerät an. Juan-Christo gab die Cardiazol-Injektion. Dr. Högli blieb an der Tür stehen.
»Was machst du hier?« sagte er hart. »Wie kommst du überhaupt her? Ich will dich nicht mehr sehen. Hinaus!«
»Doktor.« Juan-Christo gelbbraunes Mestizengesicht zuckte heftig. »Ich habe mich hinten an den Wagen gehängt. Sie brauchen mich doch, Doktor.«
»Ich brauche dich nie mehr! Wo hast du Matri gelassen?«
»Sie kommt mit den Leuten von Santa Magdalena nach.«
Evita drückte die Atemmaske über Felix' Mund und Nase. Die Indioschwester massierte die Brust des Paters. Aber es war, als arbeiteten sie an einem Stück Holz.
»Er will nicht mehr«, sagte Evita. Ihre Stimme zerfiel. Sie lehnte sich an die Tischkante, knickte in den Knien ein und setzte sich auf einen Hocker, der hinter ihr stand. Die totale Erschöpfung nahm von ihr Besitz.
»Was heißt das – er will nicht mehr?« Dr. Högli beugte sich über Pater Felix, schob die Atemmaske weg und schlug Juan-Christos Hand zur Seite, die ihm eine neue Spritze anreichte. »Nur weil sein Gott ihm in die Kniekehlen tritt, will er sich in den Sand bohren! Nicht bei mir, Felix Moscia!«
Er legte den Kopf des Paters gerade und gab ihm seine kräftige Ohrfeige. Siebenmal klatschte es gegen Pater Felix' Gesicht, dann öffnete er die Augen und sagte erstaunlich deutlich: »Hör auf, Riccardo!«
»Willst du weiterleben?«
»Gott hat mich lächerlich gemacht.«
»Vor Gott sind wir alle lächerlich.«
»Wechsle den Beruf! Werde Priester!«
Dr. Högli streckte die Hand zur Seite. Sofort lag eine neue Spritze auf seinen Fingern. Während er mit Felix sprach, injizierte er das Herzmittel in die linke Armvene. Eine braune Hand hielt das schmale Band, mit dem das Blut gestaut wurde. Juan-Christo.
Dr. Högli nickte. »Mir wird nichts anderes übrigbleiben«, sagte er. »Die Hacienda ist zerstört, die Leute von Santa Magdalena haben keine Arbeit mehr; wenn es jetzt so intensiv regnet, wie vorher die Sonne geschienen hat, werden die Felder zerstört sein, wird das ganze Dorf ersaufen, gibt es kein Santa Magdalena mehr, werden die Menschen in den Bergen hocken und können Steine und Erde fressen! Und dann verläßt sie auch noch ihr Priester! Hadert mit Gott wie Hiob!«
»O Jesus, er kennt sogar die Bibel!«
»Ich kenne noch mehr, Felix Moscia! Ich weiß genau, wie es in deinem Herzen und deinem Hirn aussieht! Es gibt eine tiefe Sehnsucht nach Erlösung, das streite ich nicht ab. Von mir aus: auch das ist Liebe zu Gott! Aber den Menschen gegenüber ist es Verrat! Da wirft ein Priesterlein das Handtuch, nur weil es meint, sein Lebenswerk geht vor die Hunde! Ahnst du überhaupt, was draußen los ist? Es regnet! Ja, es regnet! Aber das ist kein Regen mehr – so etwas von Wasser habe ich noch nie aus den Wolken fallen sehen! Hör dir das an!«
Pater Felix hob den Kopf. Vor dem Hospital klatschte es, als schlügen tausend Peitschen auf nackte Rücken. Juan-Christo reichte Dr. Högli die dritte Spritze. Seine Hand zitterte.
»Was ist das?« fragte Högli.
»Konzentrierte Vitamine, Chef.«
»Habe ich die verlangt?«
»Noch nicht, Chef. Aber Sie hätten sie gleich verlangt. Ich kenne Sie
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