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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
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Begrüßung winkte ich ihm mit dem Umschlag zu, und er stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. »Der Kerl gibt offenbar nicht auf.«
    Wir setzten uns an einen Tisch im leeren Speisesaal. Bis auf ein paar Touristen, die sich noch mit süßen Hörnchen stärkten, ehe sie zur Stadtbesichtigung aufbrachen, hatten bereits alle Gäste ihr Frühstück beendet, und so waren wir fast alleine in dem großen Raum. Als Alvarez den Umschlag öffnete, entdeckte ich dieselbe ordentliche und beherrschte Schrift wie in den beiden Briefen zuvor.
Liebe Alice,
es ist an der Zeit, dass du deine Gegenwehr beendest. Wir beide müssen zusammen sein, aber als ich zu dir kam, bist du vor mir davongerannt. Ich habe gesehen, wie du vom Balkon gesprungen bist, aber noch einmal entkommst du mir ganz sicher nicht. An einem der nächsten Tage werde ich dich fangen, und du wirst mir sagen, was du wirklich denkst, weil Schmerz die Menschen ehrlich macht. Bald wirst du transparent sein, Alice. Bald werde ich in dir lesen wie in einem offenen Buch.
    »Mein Gott«, wisperte Alvarez. Er runzelte abermals die Stirn und wurde derart bleich, als gälten die Drohungen ihm selbst. »Gott sei Dank weiß er nicht, dass du hier bist.«
    »Nein?«
    Er hielt mir den Umschlag hin. Die Klinik hatte den Brief an mich weitergeschickt.
    »Ich nehme an, das ist ein kleiner Trost.«
    Er sah mir forschend ins Gesicht. »Du musst dich dauerhaft hier einrichten, Alice. Das ist dir doch wohl klar. Er macht es uns nicht leicht. Und du kannst auf keinen Fall nach Hause, solange er nicht hinter Gittern sitzt.«
    »Verdammt«, murmelte ich. Ganze Jahreszeiten könnten vergehen, ohne dass ich etwas davon mitbekäme, während ich hier in meinem makellosen, beige gestrichenen Zimmer saß.
    »Keine Angst, ich werde dich ab und zu befreien.« Während eines Augenblicks sah es so aus, als würde er tatsächlich lächeln, aber vielleicht spielte mir auch einfach das Licht einen Streich. »Was regt dich daran so auf?«
    »Alles. Ich sollte in der Klinik sein und mir darüber Gedanken machen, ob andere Leute den Verstand verlieren statt ich selbst. Und meine Chancen, irgendwann in absehbarer Zeit mal wieder abends auszugehen, sind ja wohl gleich null.«
    »Das werden wir ja sehen.« Er glitt mit seinem Zeigefinger über meine Wange, ehe er den Brief in eine Plastiktüte schob. »Nun komm schon. Lass uns sehen, ob dein Bruder vielleicht heute reden will.«
    Wunder gibt es immer wieder, dachte ich, aber an einem derart grauen Tag war die Chance wahrscheinlich eher gering. Kaum hatten wir am Great Maze Pond geparkt, fing es an zu hageln, und als wir über den Platz bis zum Klinikeingang rannten, brannten mir die Körner auf der Haut. Sie waren groß genug, um weh zu tun, eine Unzahl winziger Meteoriten, die aus großer Höhe auf uns niedergingen.
    Bis wir endlich im Gebäude waren, sah ich wahrscheinlich wie eine halbertrunkene Ratte aus. Und die einzige Person, die mich nicht in einem solchen Zustand hätte sehen sollen, lauerte im Gang.
    Meine Mutter blickte angewidert auf mein nasses Haar und meine abgewetzten Jeans. »Alice, Liebling, warum arbeitest du nicht?«
    Meine Mutter bildete sich sehr viel darauf ein, dass sie zu ihrer Zeit in der Bibliothek nicht einen Tag der Arbeit ferngeblieben war. Doch in Wahrheit hatte nicht das Pflichtbewusstsein sie dazu gebracht, sich, egal, wie es ihr ging, an ihren Arbeitsplatz zu schleppen, sondern das Verlangen, so zu tun, als wäre immer alles vollkommen normal.
    »Ich habe dir doch schon erzählt, dass mich die Polizei vorläufig aus dem Verkehr gezogen hat.«
    Ihre Aufmerksamkeit aber galt schon nicht mehr mir, sondern dem Mann, der hinter mir hereingekommen war. Sie sah Alvarez prüfend aus ihren grauen Augen an, und mir war klar, dass er trotz seines wirren Haars mit seinem gutgeschnittenen, teuren Mantel und den durchaus akzeptablen, schicken, schwarzen Lederhalbschuhen aus ihrer Sicht ein attraktiver Bursche war.
    »Und wer sind Sie?« Sie reichte ihm die Hand.
    »Detective Sergeant Alvarez. Das mit Ihrem Sohn tut mir entsetzlich leid, Mrs Quentin.« Er ließ ihre Hand aus meiner Sicht etwas verspätet wieder los, doch meine Mutter war entzückt. Sie hätte es eindeutig vorgezogen, weiter dort im Flur zu stehen und mit ihm zu flirten, statt sich wieder auf die Angelegenheit zu konzentrieren, derentwegen sie hierhergekommen war.
    »Warst du schon bei Will, Mum?«, fragte ich.
    Sie wandte sich mir langsam wieder zu, als hätte ich einen

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