Immortals after Dark 09 - Sehnsucht der Dunkelheit
mussten, war Malkom ganz und gar seinen Erinnerungen ausgeliefert, die ihm unaufhörlich durch den Kopf spukten. Nachdem für ihn das Überleben stets an erster Stelle gestanden hatte, begann er jetzt zu zweifeln. Wie wichtig war das Leben?
Das Leben würde bedeuten, immer wieder aufs Neue verraten zu werden.
Seine eigene Mutter war die Erste gewesen, die ihn verraten hatte. Mit sechs Jahren hatte er über Hunger geklagt, als dieser so groß gewesen war, dass er fast das Bewusstsein verloren hätte. Sie hatte ihn wegen seiner Gier schrecklich ausgeschimpft und schließlich an einen Vampir verkauft, der ihn dick und fett füttern würde, solange er nur ein »gehorsamer und lieber « Junge war.
Der zweite Verrat? Derselbe Vampir hatte ihn mit vierzehn verstoßen, als Malkom zu alt geworden war, um ihm noch Lust zu bereiten.
Zurück in die Gosse, wieder dem Hunger ausgeliefert. Doch allen Widrigkeiten zum Trotz war Malkom immer stärker geworden, bis er schließlich bereit gewesen war, sich an seinem Herrn zu rächen. Malkom war immer schon ein guter Beobachter gewesen, daher wusste er über jede Vorsichtsmaßnahme Bescheid, mit der jener Vampir sein Heim schützte. So fiel es ihm nicht schwer, sich in das Haus zu schleichen, die Wachen zu erledigen und den Herrn zu töten, der ihn während seiner Kindheit und Jugend gequält und damit zu einem wertlosen, verderbten Mann gemacht hatte.
Und es hatte sich gut angefühlt, einfach großartig , einen dieser Mistkerle umzubringen, darum hatte er gleich noch einen erledigt, und noch einen.
Recht bald waren die Berichte über seine Taten auch Kallen zu Ohren gekommen. Der Prinz hatte ihn in seine Festung eingeladen und dann monatelang versucht, Malkom davon zu überzeugen, sich ihrer Rebellion anzuschließen, ja, sie sogar anzuführen.
Auf diese Weise wurde Malkom nach und nach auf den Straßen bekannt. Er wurde von Kallen zu Festessen eingeladen und mit Reichtümern und feiner Kleidung bezahlt – und all das nur, weil er sein Leben aufs Spiel setzte, das Malkom nicht das Geringste bedeutete. So lange Zeit war die Scham seine einzige Begleiterin gewesen, doch dann war es ihm endlich gelungen, sich aus der Gosse herauszuziehen.
Er hatte gewusst, dass sein Volk ihn nicht liebte, doch er hatte sich vorgestellt, dass er sich mit jedem Mal, da er ihnen ihr jämmerliches Leben rettete, mehr ihren Respekt verdiente.
Vor einigen Wochen war ihm eine gewisse Spannung im Volk aufgefallen, doch dann hatte er sich selbst zurechtgewiesen, weil er zu viel in die Reaktionen anderer hineininterpretierte. Er wollte lieber auf Kallen hören und nicht mehr hinter jeder Ecke einen Verrat vermuten. Ganz gleich, wie oft ich damit auch schon recht hatte.
»Was geht jetzt in deinem Kopf vor, Malkom?«, fragte Kallen von der anderen Seite der Zelle mit schwacher Stimme. »Du hast diesen gefährlichen Ausdruck im Gesicht.«
»Meine Gedanken sind düster.«
»So wie auch die meinen. Ich fürchte, das Ende ist nahe.«
»Es gibt kein Ende.« Malkom sah ihn an. »Nicht, bevor ich es will.«
Ein trauriges Lächeln huschte über Kallens hageres Gesicht. »So kämpferisch wie immer.« Er stand mit einiger Mühe auf, humpelte auf Malkom zu und blieb schließlich vor ihm stehen. »Ich jedenfalls habe entschieden, dass es so nicht weitergehen kann.« Seine Augen flackerten schwarz auf und verrieten seine innere Aufgewühltheit. »Also umarme mich, mein Freund.« Er legte die Arme um Malkom.
Malkom, dessen eigene Arme neben seinem Körper herabhingen, starrte verwirrt an die Decke. Ich bin noch nie auf diese Weise umarmt worden. Berührungen hatten für ihn immer nur Missbrauch bedeutet.
Fühlte es sich so an, etwas gegeben zu bekommen? Habe ich zu viele Narben davongetragen, um es zu erkennen? Zögernd legte Malkom die Arme um Kallen. Gar nicht mal so übel.
Als er Kallens Lippen an seinem Hals spürte, runzelte Malkom die Stirn. Kallen liebte Frauen und vergnügte sich jede Nacht mit einer anderen Dämonin. Was sollte das also? Du kennst dich bloß nicht aus mit Zuneigungsbekun…
Kallens Lippen öffneten sich.
Er wollte trinken. Als Malkom dies klar wurde, brach ihm der Schweiß aus. Seine Augen zuckten hin und her, und sein Überlebenswille erwachte. Doch wenn er wirklich treu ergeben wäre, würde er sich für den Prinzen opfern, für die Krone, für das Allgemeinwohl. Wie viel hatte Kallen für ihn getan? Er hatte ihm gezeigt, wie er seine Wut im Zaum halten konnte, wie er sie nutzen
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