Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
»Komm. Nur zwei Wochen. Danach hast du auch wieder bessere Laune.«
Meine Schwester säuselte in diesem schmeichelnden Ton, den sie schon ihr Leben lang benutzt hatte, wenn sie etwas von mir
wollte. Ich wollte aber nichts von ihr.
»Nein. Ich habe keine Lust, und ich habe kein Geld. Und übrigens auch keine schlechte Laune.«
Das war natürlich gelogen, Ines ging gar nicht darauf ein.
»Los, Christine, jetzt sag Ja. Dänemark ist ganz toll im September. Das Haus ist riesig, mit Sauna und Kamin und offener Küche.
Wir nehmen uns stapelweise Krimis mit, gehen jeden Tag am Strand spazieren, unterhalten uns bei Rotwein und Kaminfeuer, schlafen
aus, essen sooft wir wollen rote Würstchen und Backfisch, das wird super.«
»Nein.« Ich hatte momentan keine gute Zeit und wollte einfach meine Ruhe. Ferien mit meiner kleinen Schwester standen wirklich
ganz unten auf meiner Liste. »Wir können die Diskussion an dieser Stelle beenden.«
Meine Schwester interessierte kein Nein. Das hatte sie noch nie interessiert. Sie kannte es auch kaum, zumindest nicht aus
ihrer Kindheit. Es gab nur ein lässiges: »Ach, lass sie doch« oder: »Christine, andere Kinder wünschen sich eine kleine Schwester,
sei froh, dass du sie hast und nimm sie mit« oder: »Vertragt euch, die Ältere ist die Klügere und gibt nach«. Das Wort »Nein«
gab es nicht. Und wenn, dann kam ich nicht damit durch.
Sie
dafür immer. Und jetzt hatte ich dazu keine Lust mehr. Ich atmete tief durch, Ines war schneller: »Ichkomme heute Abend bei dir vorbei und bringe einen Prospekt von dem Haus mit. Du wirst begeistert sein. Möchtest du Pizza mit
Schinken oder Salami? Oder Thunfisch? Ich finde die mit Thunfisch und Schinken ja auch super.«
»Ich möchte gar keine Pizza. Ich kann nicht schlafen, wenn ich abends so viel esse.«
»Seit wann das denn?« Ines lachte. »Ich fahre doch sowieso beim Italiener vorbei. Also, ich bestelle eine große mit allem
drauf, und die teilen wir dann. Gegen sieben?«
»Ich will keine und außerdem habe ich heute Abend überhaupt …«
»Christine, mein anderes Telefon klingelt, ich bin ja noch im Büro. Bis später dann, tschüss.«
Warum hörte sie mir eigentlich nie zu?
Ich legte das Telefon zurück auf die Station und ging in die Küche, um mir einen Kaffee zu kochen. Meine Schwester hatte öfter
idiotische Ideen. Sie war so furchtbar spontan, ich nicht. Von mir aus sollte sie doch mit ihrer Pizza vorbeikommen, ihre
Dänemarkkataloge könnte sie danach ins Altpapier werfen. Zwei Wochen Ferien in Dänemark mit meiner kleinen Schwester, das
war auch genau das, was mir im Moment gerade noch gefehlt hatte. Nur weil ihr geplanter Segeltörn kurzfristig geplatzt war,
sollte ich jetzt als Lückenbüßer einspringen. Dabei waren die Zeiten, in denen ich ihren Babysitter spielen musste, wirklich
vorbei.
Das Telefon klingelte erneut. Vermutlich war das wieder Ines, die wissen wollte, welches Dressing ich auf dem Beilagensalat
haben wollte. Weil eine Familienpizza mit Salat dann ein Menü und drei Euro billiger ist. Ines liebte Schnäppchen und Aktionsangebote.
Weil ihre ältere Schwester nie mit Geld umgehen konnte. Deswegen hatte sie das schon früh gelernt. Sie handelte immer wie
auf einem türkischen Basar, egal ob sie sich ein Auto, eine Kiste Wein oder eine Pizza kaufte. Hauptsache, man konnte noch
was am Preis drehen.
Die Nummer auf dem Display hatte eine schwedische Vorwahl, kein Mensch konnte ermessen, wie ich sie mittlerweile hasste. Ich
nahm das Telefon hoch.
»Hallo, Johann.«
»Na? Was machst du gerade?«
Er hatte ein Lächeln in der Stimme, das mich aus irgendeinem Grund wieder schlecht gelaunt machte. Wieso ging es ihm gut und
mir nicht? Er müsste sich mit vor Sehnsucht brüchiger Stimme melden, dann könnte ich ihn wenigstens trösten und sagen, dass
doch alles nicht so schlimm sei. Schließlich würde dieser blöde Job in Stockholm ja nur noch etwa zwei Monate dauern. Aber
so war nur meine Stimme gefühlt brüchig, und zwar wahrlich nicht mehr vor Sehnsucht, sondern vor Ärger, weil er diesen Job
in Stockholm nämlich überhaupt nicht blöde fand. Mit einer unglaublichen Begeisterung und Euphorie sanierte Johann eine schwedische
Zeitung. Als ob das niemand anders als der berühmte Johann Thiess konnte, der dafür natürlich sofort den geplanten Umzug nach
Hamburg in eine gemeinsame Wohnung mit mir verschob: »Christine, das ist eine ganz große Chance. Der
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