In alter Freundschaft - Kriminalroman
nicht mehr der Alte. Stürzenbecher sah mich an. Ich schüttelte den Kopf.
»Der ist längst nach Hause gegangen«, sprach Stürzenbecher durchs Megafon. »Ich werde dich fahren.«
Ponti lachte meckernd. »Ich habe hier oben eine Videoanlage. Ich sehe den lieben Schorsch so scharf, als stünde er neben mir.«
Zwei Minuten später kam Ponti mit dem Mädchen raus. Es war etwa siebzehn Jahre alt, hatte lange, dunkelblonde Haare, eine Gesichtsfarbe, die weißer nicht sein konnte, und weit aufgerissene Augen, die darum baten, noch ein wenig leben zu dürfen.
Ich bemühte mich, meine eigene Angst zu verbergen, und nickte dem Mädchen aufmunternd zu. Keine Reaktion. Anscheinend sah ich so mutig aus wie ein Frosch in der Hand eines Feinschmeckers.
»Na, Schorsch, damit hast du nicht gerechnet, was?«, sagte Ponti.
»Lass das Mädchen laufen und nimm mich als Geisel!«, wollte ich sagen, aber heraus kam nur ein Krächzen. Erst der zweite Versuch gelang.
Ponti entblößte seine Zähne. »Schorsch, der Held! Ich nehme euch beide, was sagst du dazu? Wenn alles klappt, könnt ihr anschließend im Wald Mau-Mau spielen.«
Das Mädchen stöhnte. Ponti, der einen Arm um seinen Hals gelegt hatte, quetschte den Kopf gegen seine Brust. »Du willst nicht mit Schorsch Mau-Mau spielen? Du brauchst keine Angst zu haben. Schorsch ist nicht der Typ, der über kleine Mädchen herfällt.«
»Sie tun mir weh«, bettelte das Mädchen.
»Lass sie in Ruhe!«, sagte ich.
Ponti starrte mich wütend an. »Schluss jetzt mit dem Gequatsche! Zieh deine Jacke aus! Ich will sehen, ob du eine Knarre bei dir hast.«
Ich zog mein Jackett aus und drehte mich einmal um dreihundertsechzig Grad.
»Okay«, kommandierte Ponti, »und jetzt gehen wir! Du bleibst einen Schritt vor mir! Sobald du wegrennst, bist du ein toter Mann.« Er schob den Lauf der Pistole in meinen Hemdkragen.
Lautlos flehte ich, dass die SEK-Leute Vernunft annehmen und auf den finalen Rettungsschuss verzichten mochten. Wenn Ponti, lebend oder schon tot, den Zeigefinger krümmen würde, war ich das zweite Opfer. Und in diesem Moment wollte ich genauso wenig sterben wie das Mädchen, dessen Angstschweiß mir in die Nase stieg.
Langsam, Schritt für Schritt, bewegten wir uns auf den Ausgang zu. Mein Herz schlug im Rhythmus eines bronchitischen Trabbi-Motors. Ich wusste, der gefährlichste Moment stand uns noch bevor. Wenn überhaupt, dann würden sie schießen, während wir vom Bad zum Auto gingen.
»Warum steht das Auto nicht vor der Tür?«, fluchte Ponti. »Ich habe doch gesagt, sie sollen es direkt vor der Tür parken.«
»Keine Ahnung«, stammelte ich. »Ich habe damit nichts zu tun.« Und dann kam mir eine Idee: »Ich könnte es näher ranfahren.«
»Scheiße, Schorsch«, knurrte Ponti und drückte den Pistolenlauf gegen meinen Hinterkopf. »Du bleibst hier! Wir gehen jetzt ganz langsam zu dem Auto. Und keine Fisematenten, verstanden?«
Meine Knie waren weich wie Butter. Ich hatte Angst, ohnmächtig zu werden. Das Auto war zwanzig Meter entfernt. Fünfzehn. Zehn. Hinter mir gab es ein klatschendes Geräusch. Etwas Warmes, Weiches spritzte auf meinen Nacken. Meine Beine gehorchten mir nicht mehr. Im Fallen drehte ich mich um. Ponti taumelte zwei Schritte nach vorne, bevor er umkippte. Nach dem Loch in seinem Kopf zu schließen, war das, was in meinem Nacken klebte, ein Stück von seinem Gehirn. Das Mädchen schrie sich die Seele aus dem Leib. Ich kotzte im Liegen.
Stürzenbecher flößte mir heißen Tee ein. Ich saß auf einer Trage im Notarztwagen, zwei Weißkittel starrten mit ernsten Gesichtern auf mich herab. Hinter mir bearbeiteten sie das Mädchen, das offensichtlich einen schweren Schock erlitten hatte.
»Eine Beruhigungsspritze würde dir gut tun«, sagte Stürzenbecher mit der Stimme eines Telefonseelsorgers.
»Ich will keine Spritze«, sagte ich halsstarrig.
»Dann nimm wenigstens eine Beruhigungspille!«
Das schien mir ein gangbarer Kompromiss zu sein. Ich schluckte die Pille und einen Schluck Tee hinterher.
»Behalt den Rest für später!«, sagte Stürzenbecher und schob mir das Tablettenröllchen in die Jackentasche. Rührend, wie er um mich besorgt war. Obwohl mir eine schöne Frau an seiner Stelle lieber gewesen wäre.
»Können wir jetzt endlich zum Krankenhaus fahren?«, fragte einer der Weißkittel.
»Ich bleibe hier«, sagte ich und stemmte mich hoch. Meine Beine fühlten sich wackelig an, aber krankenhausreif war ich noch lange
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