In den Waeldern des Nordens - V3
Speerschaft, den er über seine Knie gelegt hatte, und starrte träge einem Sonnenstrahl nach, der durch ein Schnürloch fiel und eine schimmernde Spur in die trübe Luft der Hütte zeichnete. An seiner rechten Schulter kauerte Chugungatte, der Schamane. Beides waren alte Männer, und die Müdigkeit vieler Jahre nistete in ihren Augen. Ihnen gegenüber aber saß Keen, ein junger und im Stamme sehr beliebter Mann. Er hatte rasche und lebhafte Bewegungen, und seine schwarzen Augen blitzten unaufhörlich forschend und herausfordernd von einem Antlitz zum andern.
Es war still in der Hütte. Hin und wieder drang der Lärm vom Lager herein, und in der Ferne klang schwach wie die Schatten von Stimmen das Zanken von Knaben in dünnen, schrillen Tönen. Ein Hund steckte plötzlich den Kopf zum Eingang herein und blinzelte die Versammelten eine Weile wolfsartig an, während der Geifer von seinen elfenbeinweißen Fangzähnen tropfte. Nach einer Weile knurrte er aufreizend, senkte dann aber, durch die Unbeweglichkeit der menschlichen Gestalten erschreckt, wieder den Kopf und kroch rückwärts hinaus. Tant latch blickte seine Tochter gleichgültig an.
»Und dein Mann, wie steht es mit ihm und dir?«
»Er singt fremdartige Lieder«, antwortete Thom, »und es ist ein neuer Ausdruck in seinem Gesicht.«
»So? Hat er gesprochen?«
»Nein, aber es ist ein neuer Ausdruck in seinem Gesicht, ein neues Licht in seinen Augen, und er sitzt mit dem Fremden am Feuer, und sie reden und reden, reden ohne Ende.«
Chugungatte flüsterte seinem Herrn etwas ins Ohr, und Keen bog sich in den Hüften vor.
»Irgend etwas ruft ihn aus der Ferne«, fuhr sie fort, »und er scheint zu lauschen und mit einem Lied in der Sprache seines eigenen Volkes zu antworten.«
Wieder flüsterte Chugungatte, Keen bog sich vor, und Thom schwieg, bis ihr Vater ihr zunickte, daß sie fortfahren solle.
»Du weißt, Tant latch, daß Wildgans und Schwan und die kleine Krickente hier im Tieflande geboren werden. Und du weißt, daß sie vor dem Froste in unbekannte Länder fliehen, und ebenso weißt du, daß sie stets zurückkehren, wenn die Sonne über dem Lande steht und die Wasserläufe frei sind. Stets kehren sie dorthin zurück, wo sie geboren sind, damit dort neues Leben entstehen kann. Das Land ruft sie, und sie kommen. Und jetzt ruft ein anderes Land, und es ruft meinen Mann – das Land, in dem er geboren ist –, und er gedenkt, dem Rufe zu folgen. Dennoch ist er mein Mann. Vor allen Frauen ist er mein Mann.«
»Ist das gut, Tant latch? Ist das gut?« fragte Chugungatte mit einer leisen Drohung in der Stimme.
»Ja, es ist gut!« rief Keen dreist. »Das Land ruft seine Kinder, alle Länder rufen ihre Kinder wieder. Wie Wildgans und Schwan und die kleine Krickente gerufen werden, so auch dieser Fremdling, der bei uns verweilt hat und nun gehen muß. Auch das Geschlecht ruft. Die Gans paart sich mit der Gans, und der Schwan paart sich nicht mit der kleinen Krickente. Es tut nicht gut, wenn der Schwan sich mit der kleinen Krickente paart. Und es tut auch nicht gut, wenn Fremdlinge sich ihre Weiber in unsern Dörfern suchen. Daher sage ich, daß der Mann zu seinem eigenen Geschlecht in sein eigenes Land gehen soll.«
»Er ist mein Mann«, antwortete Thom, »und er ist ein großer Mann.«
»Ja, er ist ein großer Mann.« Chugungatte hob den Kopf mit einem leisen Erwachen jugendlicher Kraft. »Er ist ein großer Mann, und er hat deinem Arm Stärke geschenkt, o Tant latch, hat dir Macht gegeben und deinen Namen gefürchtet im Lande gemacht, gefürchtet und geehrt. Er ist sehr weise und seine Weisheit bringt viel Nutzen. Ihm haben wir vieles zu verdanken – die Anwendung von Kriegslisten und die Geheimnisse einer Verteidigung des Dorfes und bei Überfällen im Walde, die Abhaltung von Beratungen, Besiegung des Feindes durch Worte und feierliche Versprechungen, Einkreisung des Wildes, das Stellen von Fallen, die Aufbewahrung von Nahrungsmitteln und die Heilung von Krankheit und Wunden auf der Jagd und im Kampfe. Du, Tant latch, würdest heute ein lahmer alter Mann sein, wäre der Fremdling nicht zu uns gekommen und hätte dich gepflegt. Und stets, wenn wir im Zweifel über eine schwierige Frage waren, sind wir zu ihm gegangen, daß er uns durch seine Weisheit Rat schaffte, und stets hat er uns Rat geschafft. Und es werden immer wieder Fragen kommen, da wir sein Wissen brauchen werden. Wir können ihn deshalb nicht gehen lassen. Es ist nicht gut, ihn gehen zu
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