In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
vorsichtig die Teetassen auf den Tisch – die alte französische Tasse stellte er vor ihren Platz, die henkellose Tasse aus dickem weißen Porzellan vor seinen.
Sie brauchten nicht viele Worte, seit etlichen Jahren schon trafen sie sich hier ein paar Mal im Monat. Häufiger wagten sie es nicht. Sie waren sich im Klaren, dass viele von ihren eher bedauernswerten Begegnungen wussten und sie gutmütig akzeptierten. Und ihnen war auch klar, dass ihr heimlicher Treffpunkt nicht mehr sicher wäre, wenn sie diese stumme Loyalität ausnutzen und sich nicht angemessen benehmen würden.
»Na, Vanja, wie steht es um die Zeche?« Ihr Ton war feierlich, als würden sich bedeutende Persönlichkeiten über Dinge unterhalten, die sie ändern könnten, sollte ihnen ihre Entwicklung nicht gefallen. Ein leises Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht, sie lag nicht ganz falsch.
»Es sind schwierige Zeiten, das will ich nicht leugnen. Aber nicht so schlimm wie früher. Erinnerst du dich an den Herbst 1996? Was für eine Tragödie, dieses furchtbare Flugzeugunglück … Das ganze Jahr dachte ich, dass das Bergwerk in Barentsburg geschlossen wird.«
»Und der 23. September im vergangenen Jahr?« Sie sprach das Datum leise aus, weil sie wusste, dass er nicht gern darüber redete.
»Ja.«
»Dreiundzwanzig Tote und sieben Männer waren in den Stollen eingeschlossen. Es muss doch mal ein Ende haben mit dieser miserablen Führung. Haben sie uns auf dem Festland vergessen? Die Versorgung reicht nicht aus … Wovon sollen wir im Winter leben? Von Almosen aus Longyearbyen?«
Er antwortete nicht, sondern beugte sich mit zwischen den Knien gefalteten Händen vor.
»Du bist ein Held, Ivan Sergejewitsch. Sie sehen zu dir auf. Nach allem, was du für sie bei dem Grubenunglück getan hast … unter Lebensgefahr. Die ganzen Kumpel, die du gerettet hast, viele von ihnen auf eigene Faust. Wärst du nicht gewesen … Kein Wunder, dass sie dir vertrauen und niemandem sonst.«
»Solches Vertrauen ist gefährlich, Ljuda! Der Direktor ist ein schwieriger Mann … Wir dürfen ihn nicht zu sehr unter Druck setzen. Viele in der Gruppe sind ungeduldig, aber … das System lässt sich nicht ohne weiteres verändern. Wir müssen Geduld haben, an unseren Prinzipien festhalten. Wir dürfen nicht vergessen und uns nicht von Gier und Egoismus zerstören lassen. Wir müssen zusammenstehen, Schulter an Schulter.«
»Du bist doch vorsichtig, Vanja?« Sie sagte es so leise, dass er es gerade noch verstehen konnte.
»Vorsichtig? Ein echter Don Kosak wie ich?« Er drehte ihr den Kopf zu und lächelte. »Nein, Mütterchen. Ich will nicht vorsichtig sein. Ich muss für die Forderungen der Arbeiter kämpfen, das ist meine Pflicht als Gewerkschaftsvorsitzender. In diesem Winter werden wir hier in Barentsburg nicht hungern und frieren. Ich habe mit dem Direktor …«
Plötzlich erstarrte er und streckte seine Hände in ihre Richtung. »Pst, hast du das gehört?«
»Nein … Ist draußen jemand?« Sie flüsterte und sah ängstlich aus.
»Ganz ruhig jetzt. Ich werde nachsehen.« Er schlich durchs Wohnzimmer in die dunkle, kalte Küche. Blickte durchs Fenster auf die langen Treppen, die hinunter zum Kai führten. Nichts zu sehen. Er hielt den Atem an. Kein Laut. Dann ging er durch den engen Flur und öffnete vorsichtig die Haustür. Um das gesamte Haus zog sich eine schmale Veranda. Er hielt sich im Schatten, dicht an der Wand. Ging einmal um das ganze Haus. Kein Mensch, nirgendwo.
»Offenbar sind wir ein wenig schreckhaft. Schlechtes Gewissen?« Er bemühte sich um einen spöttischen Tonfall, doch es gab tatsächlich einiges, was er ihr nicht erzählte. »Vielleicht sollten wir uns einen anderen Ort für unsere Verabredungen suchen?«
Ihre Augen wurden dunkel vor Enttäuschung. »Oh nein, Vanja … es ist so gemütlich hier … genau wie …«
»Genau wie das Zuhause, das wir in Lugansk hätten haben können?« Mit schweren Schritten ging er durchs Zimmer und setzte sich wieder in den zerschlissenen Sessel. »Ich habe dir … ein ganzes Leben genommen.«
Sie berührten das unzulässige Thema. Ihr Ton wurde streng. »Das ist aus Güte passiert, ich will nichts anderes hören. Du hast sie aus einem elenden Dasein mit Armut, Beleidigungen und vielleicht Lebensgefahr gerettet … Es konnte doch niemand sicher sein, dass sie sich nicht eines Tages an alles erinnern würde. An alles, was du für sie getan hast …«
Er schüttelte den Kopf, beugte sich über den Tisch
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