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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Selbstverständlich steht unser Haus Ihnen auch weiterhin offen, und wir freuen uns über Ihren Besuch, aber mein Mann und ich hätten auch Verständnis, falls Sie sich dem, womit wir seit nun fast fünfzehn Jahren immer wieder zu tun haben, nicht mehr aussetzen möchten.
    Mit den besten Grüßen,
    Ihre
    Marianne Tätzel



TEIL I
    In a field
I am the absence
of field.
    Mark Strand

1  Das Wesen der Ferne
    Am 21. Juni 1919 fand im britischen Flottenstützpunkt Scapa Flow, nahe der schottischen Küste, die Selbstversenkung der Kaiserlichen Deutschen Hochseeflotte statt. Der kurz zuvor von Deutschland unterzeichnete Vertrag von Versailles sah, neben der Rückgabe des Totenschädels des Häuptlings Mkwawa an die britische Regierung, auch vor, dass alle Schiffe unverzüglich übergeben werden sollten, aber der deutsche Admiral Ludwig von Reuter wollte seine Schiffe lieber versenken, als sie den Briten zu überlassen, die er für ein unkultiviertes Volk hielt. Seither liegen die Kriegsschiffe dort auf dem Meeresgrund, in etwa fünfzig Metern Tiefe. Und das ist ein Glück für die moderne Raumfahrt, denn aus den Wracks dieser seit nun fast hundert Jahren unter Wasser liegenden Kriegsschiffe wird auf Tauchgängen hochwertiger Stahl gewonnen, der beim Bau von Satelliten, Geigerzählern oder Ganzkörperscannern in Flughafen-Sicherheitsschleusen verwendet wird. Jeder andere Stahl auf der Welt ist – nach Hiroshima, Tschernobyl und den zahlreichen in der Erdatmosphäre durchgeführten Atombombentests – zu stark verstrahlt, um beim Bau solcher hochsensiblen Geräte verwendet zu werden. Hinreichend sauberen Stahl gibt es nur in Scapa Flow, in fünfzig Metern Tiefe.
    Mit dieser Geschichte beginnt das bemerkenswerte, 2004 erschienene Buch Das Wesen der Ferne der Kinderpsychologin und Pädagogin Monika Häusler-Zinnbret. An einem Samstag im Sommer des Jahres 2006 besuchte ich sie in ihrer Wohnung im villenreichen Grazer Bezirk Geidorf. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mein halbjähriges Praktikum als Mathematik-Tutor am Helianau-Institut bereits abgebrochen. Der Leiter des Instituts, Dr. Rudolph, hatte mich davor gewarnt, jemals wieder einen Fuß auf das Grundstück zu setzen.
    Ich suchte Frau Häusler-Zinnbret auf, um sie zu fragen, unter welchen Bedingungen Indigo-Kinder ihrer Meinung nach heute, zwei Jahre nach der Veröffentlichung ihres einflussreichen Buches, das in seinen Anfangszeilen hoffnungsvolle Töne anschlägt, in Österreich leben. Und ob sie wisse, was es mit den so genannten Relokationen auf sich habe, deren verständnisloser Zeuge ich während meiner Praktikumszeit des Öfteren geworden war.
    An der alten Haustür mit den drei Klingelknöpfen war auch ein ornamentaler Türklopfer angebracht, der aussah, als wäre er vielleicht einmal echt gewesen – aber dann, an einem heißen Tag, verschmolz er einfach mit dem dunkelgestrichenen Holz der Tür und wurde zu einer ohrmuschelartigen Zierde oberhalb der schweren, gusseisernen Klinke. In dem kleinen, von einem Messingzaun und einer von vielen Spinnennetzchen vernebelten Hecke umgebenen Gärtchen, das neben dem ungewöhnlich prächtigen Wohnhaus lag, standen ein paar stille Birken, wassergewächshaft und beinahe silbern, und vor einem ebenerdigen Fenster entdeckte ich eine einzelne Sonnenblume, die den Kopf aufmerksam, als hörte sie leise Musik, gereckt hielt, weil sie die Vormittagssonne schon um die nächste Ecke kommen fühlte. Es war ein warmer Tag, kurz vor zehn Uhr morgens. Die Tür stand offen. Im Treppenhaus war es kühl, und ein schwacher Geruch nach feuchtem Stein und alten Kartoffeln lag in der Luft.
    Noch vor einem oder zwei Monaten wäre mir das alles nicht aufgefallen.
    Bevor ich durchs Treppenhaus hinauf zur Praxis ging, kontrollierte ich meinen Puls. Er war unauffällig.
    Frau Häusler-Zinnbret ließ mich lange vor ihrer Tür warten. Ich hatte den Klingelknopf, unter dem ihre beiden Nachnamen standen, verbunden durch ein gewelltes ≈ anstatt durch einen Bindestrich, mehrere Male betätigt und mich, wie schon so oft in meinem Leben, darüber gewundert, dass Psychologinnen und Pädagoginnen immer Doppelnamen haben. Ich hörte sie in ihrer Wohnung herumgehen und Möbel oder andere größere Gegenstände bewegen. Als ich ihre Schritte einmal ganz nahe an der Tür wahrzunehmen meinte, klingelte ich wieder, in der Hoffnung, sie nun endlich auf mich aufmerksam zu machen. Aber wieder entfernten sich die Schritte, und ich stand im Treppenhaus und

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