Inferno - Höllensturz
Alptraum. Ebenso endlos speien Gitterroste über den Kloaken Flammen aus den Schwefelbränden, die seit Jahrtausenden unter den Straßen lodern. Hoch aufragende Uhrentürme sind in jedem Stadtbezirk gesetzlich vorgeschrieben, doch sie dürfen keine Zeiger haben; Zeit wird hier nicht in Sekunden oder Stunden gemessen, sondern in Grausamkeit und Verzweiflung. Im Mittelpunkt dieses Morasts aus Stein und Rauch, Gemetzel und Grauen steht der 666 Stockwerke hohe Mephisto-Turm, wo Gargoyles auf den windgepeitschten Gesimsen hocken und von dessen höchsten Vorsprüngen unschuldige Menschen für Äonen an Galgen baumeln und langsam verrotten. Der einzige Bewohner des obersten Stockwerks blickt auf sein Reich herab und lächelt ein Lächeln, das heller ist als eintausend Sonnen. Ja, hier sind alle tot, und doch lebt jeder ewig.
Willkommen in der Mephistopolis.
Willkommen in der Hölle.
Willkommen.
SOHN DES ATHERS
KAPITEL EINS
I
»Das würdest du tun? Für mich?«
Die Stimme, die diese Worte ausgesprochen hatte, war unfassbar reich. Worte wie Licht, ein Klang wie eine Liebkosung.
In gewissem Sinne waren da lediglich zwei Männer in einem Raum.
»Wahrheit und Vergeltung«, sagte der erste Mann. Sein Gesicht konnte man nicht ansehen. Konnte es sein, dass er zu schön war, um direkt angeblickt zu werden? »Ist das alles, was wir sind? Zwei Männer in einem Raum?«
»Viel mehr als gewöhnliche Männer«, sagte der zweite Mann. »Ich werde es dir beweisen.«
»Du wirst sterben, mein Freund.«
»Ich sterbe mit Freuden für deinen Ruhm.«
Der erste Mann öffnete eine über und über mit Jaspis verzierte Tür zu der dahinter gelegenen Schreckenskammer. »Sie erinnert mich an Maria«, flüsterte er.
Der zweite Mann sah in den Raum, wo eine wunderhübsche Dämonin keuchend nach Luft rang. Die langen, tropfnassen Locken hingen ihr ins Gesicht. Sie kniete vor einem Wasserbottich, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, und würgte.
Ein Hexenmeister in einem Umhang kniete direkt hinter ihr, drückte urplötzlich ihren Kopf in den Bottich und hielt ihn fest. Sie krümmte sich. Luftblasen explodierten im Wasser, und immer noch drückte der Hexer ihren Kopf nach unten. Schließlich erschlaffte ihr Körper, und sie starb.
»Jetzt pass auf«, sagte der erste Mann.
Der Hexer zog die Dämonin aus dem Wasser und ließ sie auf den scharlachroten Teppich fallen. Dunkle Worte flossen über seine Lippen, eine Beschwörung in der geheimsten aller Sprachen. Scherben düsteren Lichts schienen wie Schmetterlinge umherzuflattern, und dann plötzlich bäumte sich die Dämonin auf, spie einen Schwall Wasser aus dem Mund und ihr Herz, das noch vor wenigen Augenblicken stehen geblieben war, begann wieder zu schlagen.
»Das ist ein Reanimationszauber«, verkündete der erste Mann ziemlich stolz. »Ein erregender Gedanke. Sie töten sie, dann wird sie wiederbelebt, getötet, wiederbelebt, immer und immer wieder. Ich finde die darin liegende Symbolik unwiderstehlich. Es ist … entzückend.«
Der zweite Mann sah zu, wie die Dämonenfrau wieder zu vollem Bewusstsein kam. Sie schrie kurz auf, dann wurde der Kopf wieder ins Wasser getaucht.
»Töten, wiederbeleben, töten, wiederbeleben.«
»Und ja, es stimmt«, bemerkte der zweite Mann. »Sie sieht tatsächlich aus wie Maria.«
Die beiden gingen zurück in die Haupthalle, ihre Schritte so geräuschlos wie der Tod auf den Fliesen aus Amethyst und Achat. Der erste Mann ging zu einem mit Scharnieren versehenen bunten Glasfenster, das in einem eisernen Rahmen hing und öffnete es. Das Mosaik darin stellte eine Orgie auf dem Berg Golgatha dar, nebst dreier Kreuzigungsopfer, die dem Schauspiel hilflos zusehen müssen. Der Mann nahm den Anblick der wundersam roten Nacht draußen in sich auf, folgte mit den Augen einem vorübersegelnden Greif, genoss die endlose Aussicht auf Wolkenkratzer und Rauch. »All das dort draußen, und nur wie beide hier oben«, flüsterte er.
»All das dort draußen ist dein. Genau wie ich«, sagte der zweite Mann.
»Ja. Du bist mein Gesegneter.«
Ein Diener in einem weißen Gewand kam herein, in der Hand einen großen Weidenkorb. Er setzte ihn ab, dann verbeugte er sich und verließ den Raum wieder. Sein Gesicht war mit Perlen und Diamanten bestickt. Der erste Mann ging zu dem Korb und holte einen neugeborenen Imp heraus. Riesige Augen sahen den Mann mit grenzenloser Liebe an.
»So schön, so unschuldig …«
»Nicht viel Unschuldiges wird je hier geboren«, wandte
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