Ins dunkle Herz Afrikas
Blick auf Isabella an sich. »Ich werd meinen Bergturm sowieso nicht sehen, wir werden hier sterben, alle. Sie werden uns alle niedermetzeln, in Stücke hacken werden sie uns, wir werden in unserem Blut ertrinken!«
»Ach, halt die Klappe, Susi«, riefen Isabella und Henrietta mit einer Stimme.
Das silberne Licht wechselte ins Bläuliche und innerhalb einer Viertelstunde war es stockfinstere Nacht. Sie waren allein, von den Schwarzen ließ sich niemand blicken. Donner krachte, Blitze zischten herunter, zwei, drei auf einmal, der Regen prasselte hart auf den Grasdächern, als wären es nicht Wassertropfen, sondern kleine Steine. Um sie herum raschelten und schabten unsichtbare Mitbewohner über den Boden der Hütte, Käfer, Spinnen, Kakerlaken, nahm Henrietta an, und einmal spürte sie etwas, das glatt war und muskulös, kein Insekt. Sie rührte sich nicht und nach einer Zeit lang glitt es in die Dunkelheit. Fliegen und Mücken fielen in Schwärmen über sie her, doch nach und nach fielen Susi und Isabella und auch Ron in einen unruhigen Schlaf.
Henrietta lag wach. Die seelische Erschütterung, die sie durch die Stunden in Polizeigewahrsam bei ihrer Einreise am Flughafen erlitten hatte, hatte sie in den untersten Schichten ihres Bewusstseins vergraben. Noch konnte sie es nicht ertragen, darüber nachzudenken, das Erlebnis zu verarbeiten - noch nicht.
Irgendwann später, aber noch nicht. Doch der Schock der Entführung, bisher verdrängt durch den Akt des Überlebens, lahmte ihre Widerstandskraft wie ein Nervengift.
Sonst war sie in den unerträglichsten Momenten ihres Lebens einfach entwischt, war auf ihren Felsen geklettert, hatte sich dem Zauber der Freiheit und Unendlichkeit hingegeben. Gleichgültig, wie
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schlimm es war, dort fand sie Ruhe, auch wenn sie nicht wirklich da war, sondern weit entfernt auf einem anderen Kontinent. Die Ge-wissheit, dass sie zurückkehren könnte und dass er da sein würde, unverrückbar der Brandung trotzend, dort, wo der Indische Ozean und Afrika sich treffen, gab ihr stets die Kraft. Nun war ihr innerer Zufluchtsort zerstört worden. Und das war das Schlimmste. Der Schlaf, endlich, kam mit Albträumen. Ein paar Mal schreckte sie hoch, und in ihrer Schlaftrunkenheit war ihr, als käme sie von weit her, aus der Zeit der raucherfüllten, dunklen Höhlen und flackernden Feuer, als die ersten Menschen, ihre Blöße mit Tierfellen bedeckt, sich angstvoll aneinander drückten und zitternd dem Donnergott opferten. Urangst schüttelte sie, und erst das Morgenlicht vertrieb die archaischen Schatten.
Sie legte ihre Hände vors Gesicht. Oh, lan, bitte finde deinen Weg zu mir, finde ihn schnell, ich brauche dich! Seine Antwort, die sie zu hören meinte, verwehte mit ihrem Traum, aber plötzlich war sie sich sicher, dass er sie verstanden hatte.
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1. Januar 1990 - in Marys Umuzi
.Langsam kam Henrietta zu sich, sah sich um, registrierte zutiefst erleichtert, dass die Nebelflecken vor ihrem linken Auge etwas abgenommen hatten. Sie schlug das Kuhfell zurück. Es regnete noch immer, nicht mehr so heftig, aber in einem gleichmäßigen, mächtigen Rauschen floss das Wasser vom Himmel herunter, die Welt lag hinter einem grauen Vorhang, der nur Schemen erkennen ließ. Trotz des frühen Morgens machte ihr bleischwere Hitze das Atmen schwer. Die Kühe in ihrem Gehege blökten, als klagten sie über ihr stumpfsinniges Dasein. Der Boden war von mehreren Rinnsalen, die die Abdichtungen aus Lehm und Kuhdung aus dem Zweiggeflecht des Wandsockels an einigen Stellen unterspült hatten, aufgeweicht worden.
»Himmel, ist das heiß!« Isabella stand auf. »Das wird die Hölle über Mittag werden!« Sie band ihre Haare hoch - ihr Nacken war schweißnass. Mehrere rote Beulen auf ihrer Haut zeigten die Stellen, wo Moskitos sich ihre Mahlzeit geholt hatten. Sie kratzte sich abwesend, bis Blut hervortrat. Bald setzte sich eine Fliege auf die Wunde und tauchte ihren Rüssel eifrig in die nahrhafte Flüssigkeit. »Ich sterbe vor Durst. - He, ich will was zu trinken!«, schrie Isabella in den Regen hinaus, »und Hunger hab ich auch!« »Sei leise, weiße Hündin!« Mary erschien am Eingang wie ein Geist aus dem Regengrau. Sie trug eine große Schüssel und setzte sie vor dem Eingang ab, ihre Goldreifen klirrten dabei. »Frühstück«, sagte sie und grinste teuflisch.
Isabella zog die Schüssel in die Hütte. Das Kuhfell ließ sie zurückgeschlagen.
»Putu zum Frühstück«, sagte sie und roch daran. Ein
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