Insel aus Stein: Mittsommerglück (German Edition)
unterbrechen.”
“Es tut mir leid, aber es ist wirklich wichtig”, erwiderte Cassie bestimmt. Dales Herz setzte beinahe aus, als sich der Türknauf zu drehen begann. Mit einem Satz war er bei der Tür und öffnete sie einen winzigen Spalt weit.
“Lieber Himmel, was ist denn?”, blaffte er Cassie an. “Was wollen Sie?”
Die Engländerin wirkte überrascht. “Wollen Sie mich denn nicht hereinlassen?”
“Ich denke ja gar nicht daran! Sagen Sie, was Sie mir zu sagen haben – und dann verschwinden Sie! Ich habe zu arbeiten. Gerade Sie sollten das wissen!”
Fragend zog Cassie eine Augenbraue hoch und schaute ihn forschend an, doch schließlich zuckte sie mit den Schultern. “Nun gut, wie Sie wünschen. Ich bin hier, um Sie zu bitten, mir endlich ihr Manuskript zu überlassen.” Sie schüttelte den Kopf. “Nein, falsch, ich bitte Sie nicht – ich verlange es von Ihnen! Die Abmachung, die Sie mit dem Verlag getroffen haben, besagt ganz eindeutig, dass …”
“Zum Teufel mit dieser elenden Vereinbarung!”, fiel er ihr barsch ins Wort. Er war versucht, ihr einfach die Tür vor der Nase zuzuschlagen, doch ihm war klar, dass er damit die Situation noch verschlimmern würde.
Seine Gedanken rasten. Was nun? Cassie würde sich dieses Mal nicht mit ein paar vertröstenden Worten abspeisen lassen, das war ihr deutlich anzusehen. Doch er
konnte
ihr das Manuskript nicht überlassen. Unmöglich!
Und dann hatte er plötzlich einen Geistesblitz. Zwar konnte er ihr nicht das ganze Manuskript überlassen, das stimmte – aber es war durchaus möglich, ihr einen Teil zu geben. Die ersten beiden Kapitel von
Einsame Herzen
beispielsweise waren durchaus vorzeigbar. Wenn Cassie sich damit zufriedenstellen ließe, war schon einiges gewonnen.
“Also gut”, sagte er. “Warten Sie einen Moment.”
Cassies Augen wurden groß. “Soll das heißen, Sie werden mir das Manuskript endlich aushändigen?”
“So ungefähr”, erwiderte er ausweichend, lehnte die Tür an und machte sich auf die Suche nach dem Stapel mit den ersten Kapiteln seines Romans – was mehr Zeit in Anspruch nahm, als er angenommen hatte, doch schließlich hielt er Kapitel eins und zwei in den Händen. Er drehte sich um – und erstarrte vor Schreck.
Die Tür war aufgeschwungen, und Cassie stand bereits halb im Raum. “Kann ich Ihnen irgendwie helfen?”
Dale rang sich ein strahlendes Lächeln ab, drückte ihr den Stapel Papier in die Hand und schob sie sanft, aber bestimmt aus dem Zimmer. “Das sind die ersten beiden Kapitel meines Romans”, erklärte er hastig, um Cassies Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und lotste sie hinaus auf den Flur. Dann schloss er eilig die Tür hinter sich und verriegelte sie sorgfältig. Geschafft. “Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen.”
5. KAPITEL
C assie brauchte nicht einmal eine Stunde, um die ersten beiden Kapitel von Dales Roman
Einsame Herzen
durchzulesen. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie die letzte Seite behutsam auf den Stapel zurücklegte. Sie arbeitete nun schon seit vielen Jahren als Lektorin, doch so etwas war ihr noch nie zuvor passiert.
Es handelte sich um die Rohfassung, den ersten Entwurf des Manuskripts, doch es war bereits jetzt so gut wie perfekt. Obwohl sie gerade erst den Anfang gelesen hatte, fühlte sie sich von der Geschichte und den Charakteren regelrecht gefesselt. So sehr, dass sie es kaum erwarten konnte zu erfahren, wie es weiterging.
Von der ersten Seite an erschien es beinahe unmöglich, nicht mit Anna und David, den beiden Hauptfiguren, mitzufiebern. Sie waren so lebendig, so real, dass man fast den Eindruck bekommen konnte, alten Freunden zu begegnen, die man lange Zeit nicht mehr gesehen hatte.
Cassie war begeistert. Wenn die Geschichte sich so weiterentwickelte, wie es der Anfang versprach, würde der Roman ein echter Renner werden. Keine Frage, Dale war einer der besten Autoren, mit denen sie jemals zusammengearbeitet hatte. Er besaß wie kein anderer die seltene Gabe, das geschriebene Wort mit Leben zu erfüllen.
Sie erhob sich von ihrem Platz am Schminktisch, den sie kurzerhand zu ihrem Arbeitsplatz umfunktioniert hatte, und öffnete das Fenster zum Garten. Draußen herrschte strahlender Sonnenschein. Der Duft von frisch gemähtem Gras hing schwer in der lauen Luft und vermischte sich mit dem leicht salzigen Geruch der See.
Für einen Moment schloss sie die Augen und genoss den Frieden und die Stille. Als sie sie wieder öffnete, erblickte sie Dale.
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