Inspector Alan Banks 09 Das blutige Erbe
Blätter von den Bäumen gefegt, die unter ihren Füßen raschelten, als sie zu ihrem Wagen ging.
Doch heute hielt Susan nur kurz inne, um die frische Luft einzuatmen, dann stieg sie in ihren Wagen und drehte den Zündschlüssel herum. Ihr roter Golf sprang beim ersten Versuch an. Ein vielversprechender Start.
* III
Banks lehnte neben seinem Bürofenster, seinem Lieblingsplatz, und blies auf die Oberfläche seines Kaffees, von dem der Dampf aufstieg, während er hinaus auf den ruhigen Marktplatz schaute. Er dachte an Sandra, an ihre Ehe und daran, wie zurzeit alles schief zu laufen schien. Im Grunde lief es nicht schief, sondern einfach ins Nirgendwo. Seit seinem Opernbesuch hatte sie noch nicht wieder mit ihm gesprochen. Da er bis spät in der Nacht am Tatort gewesen war, hatte sie natürlich auch noch nicht viel Gelegenheit dazu gehabt. Und an diesem Morgen war sie, als er gehen musste, noch im Halbschlaf gewesen. Trotzdem, im Haus herrschte eine bedrückende Kälte.
Der Regen hatte alle Exzesse von Samstagnacht von den Pflastersteinen gespült, genauso wie das Reinigungspersonal des Reviers die Zellen desinfiziert und gewischt hatte, nachdem die über Nacht in Gewahrsam genommenen Betrunkenen und Ruhestörer entlassen worden waren. Im Morgenlicht schimmerten der Platz und die Gebäude ringsum in einem blassen Graugold.
Banks hatte sein Fenster ein paar Zentimeter weit geöffnet, sodass der Klang der Kirchengemeinde, die »Wir pflügen die Felder und streuen die Saat« sang, herüberwehte. Er musste an die Erntedankfeste seiner Kindheit denken, daran, wie seine Mutter ihm ein paar Äpfel und Orangen gab, damit er sie zu den Gaben der anderen in den Korb der Kirche legen konnte. Er hatte sich oft gefragt, was mit all den Früchten passierte, nachdem das Fest vorüber war.
Der Kalender des »Dalesman« zeigte die Healaugh-Kirche nahe York, aufgenommen durch das Gatter eines Bauernhofs. Im Grunde war es keine herbstliche Aufnahme, dachte Banks gerade, als er das Klopfen an seiner Tür hörte.
Es war Susan Gay, die als Erste nach Detective Superintendent Gristhorpe erschien, der bereits damit beschäftigt war, die Ermittlung mit dem Bezirkspräsidium zu koordinieren sowie eine Berichterstattung in den lokalen Medien zu arrangieren.
Susan sah wie üblich frisch und munter aus, dachte Banks. Genau die richtige Menge Make-up, die blonden Locken glitzerten noch von der Dusche. Niemand würde Susan Gay mit ihrer kleinen Stupsnase und ihrem ernsten, beherrschten Ausdruck malen wollen, doch ihre klaren blaugrauen Augen waren faszinierend; zudem besaß sie einen schönen, glatten Teint.
Auf jeden Fall schien sich Susan nicht für die wilden Gelage der Samstagnacht zu begeistern, denen Jim Hatchley offenbar frönte. Er kam unmittelbar nach ihr und sah aus wie der personifizierte Kater: die Augen trübe und blutunterlaufen, die Lippen ausgetrocknet und gesprungen, ein Fetzen Toilettenpapier über einen Rasierschnitt gepappt, das lichter werdende, strohige Haar seit Tagen ungewaschen und ungekämmt.
Nachdem die zwei Platz genommen hatten, beide an einem Kaffeebecher nippend, erklärte Banks, wie der Junge getötet worden war. Dann ging er hinüber zum Stadtplan von Eastvale, der an der Wand neben seinem Aktenschrank hing, und zeigte auf die Gasse, in der die Leiche entdeckt worden war.
»Hier hat ihn Police Constable Ford gefunden«, begann er. »In der Nähe gibt es keine nach Westen führenden Durchgangsstraßen, deshalb kürzen die Leute ihren Weg gerne durch die Wohnstraßen ab, nehmen dann die Gasse am Carlaw Place und gelangen über den Park zur King Street und zur Leaview-Siedlung. Das Problem ist, dass man die Abkürzung in beide Richtungen benutzen kann. Wir wissen also nicht, von wo er gekommen ist.«
»Sir«, sagte Susan, »Sie haben mir am Telefon gesagt, dass er wahrscheinlich kurz nach der Sperrstunde ermordet worden ist. Wenn er auf Kneipentour war, ist es dann nicht wahrscheinlicher, dass er vom Marktplatz gekommen ist? Ich meine, das ist samstagnachts ein recht beliebter Ort für junge Leute. Dort gibt es eine ganze Reihe Pubs und manche haben Live-Bands oder Karaoke.«
Karaoke. Bei dem Gedanken lief Banks ein Schauer über den Rücken. Der einzige andere Begriff, der eine ähnliche Auswirkung auf ihn hatte, war »Country-und-Western-Musik«. Das war für ihn schon ein Widerspruch in sich.
»Guter Punkt«, sagte er. »Konzentrieren wir also
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