Isis
einem Tuch bedeckte ich Kopf und Schultern, wie es die vornehmen Frauen Assurs tun, um sich von Sklavinnen und Huren zu unterscheiden. Ohne die Truppen Aschurbanaplis, des Königs der Assyrer, die in meinem ersten Lebensjahr Waset gebrandschatzt hatten, hätte ich vermutlich nicht überlebt. Außerdem erschien mir dieser Tribut an die Sitten Assurs nützlich, um meine Aufregung zu verbergen. Ein zusätzlicher Schleier verhüllte mein Gesicht. Nur die Augen blieben frei.
oooo
Wenn sie mein Anblick überraschte, so ließ sie es sich nicht anmerken. Ohne Zögern trat sie ein. Von nahem erschien sie mir so vertraut, dass ich sie am liebsten in die Arme genommen hätte. Aber zuerst hatte ich zu Ende zu bringen, was ich ihr schuldig war. Was danach geschehen würde, daran wagte ich nicht einmal zu denken. Der Feuerball in meinem Magen war zu neuem Leben erwacht. Ich musste an mich halten, um mich nicht vor Schmerzen zu krümmen. Trotzdem gelang es mir, mich zu beherrschen. Isis war die Tochter einer besonderen Frau und blutsverwandt. Wem also, wenn nicht ihr, gebührten Ehre und Höflichkeit?
Fast schon formell bat ich sie, auf einem Kissen Platz zu nehmen, und ließ mich ihr gegenüber nieder. Isis saß gerade wie eine Statue, die Beine gekreuzt. Ihr Atem ging unhörbar.
Nur die Lider bewegten sich leicht.
»Ich bin bereit«, sagte sie, als die Stille im Raum unerträglich zu werden drohte.
Die Flut der Bilder wurde so stark, dass ich abermals zu zittern begann. Alles schien auf einmal zu einem mächtigen Strom zusammenzufließen, der mich ergriff und davontrug — was ich erlebt und jemals gehört hatte, Ruzas Erinnerungen, was ich in den Herzen von Khay und Anu gelesen hatte, Isis’ Ängste und schönste Hoffnungen. Geheimnisse, die meine Gabe einst entschleiert hatte.
Es war eine Geschichte der Liebe, gewebt aus unseren Schicksalssträngen, die sich auf einmal zu einem verschlungenen Muster verwoben und alle mit einschlossen: Sarit und Basa, Nezem und Selene, Ruza, meine beiden Brüder, mich selbst, vor allem aber Isis — ihre Mutter.
»Willst du nicht endlich beginnen?« Jetzt hörte sie sich an wie ein Kind.
Ich warf einen Blick auf die allmächtige Göttin, deren Schwingen uns alle beschützen, tat einen tiefen Atemzug und fing an zu erzählen.
Als die Sonnenbarke am östlichen Horizont aufstieg, schlief keiner mehr im Anwesen des Basa. Die Schreie seiner Frau Sarit, die alle aus dem Schlaf gerissen hatten, waren inzwischen verstummt. Aber trotzdem wagte niemand, den Tag wie gewohnt zu beginnen. Dienerschaft und Mägde schlichen im Haus herum. Sogar die alte Neshet, sonst immer die Erste an der Feuerstelle im Hof und lärmend dazu, gab sich Mühe leise zu sein, während sie die Brote aus dem Ofen holte.
»Das waren noch keine Wehen«, sagte die Hebamme, als sie sich vom Bett abwandte, und ihrer Stimme war nicht anzuhören, ob sie besorgt oder erleichtert war. »Erste Warnzeichen, nichts weiter.« Sie furzte unbekümmert. »Wie es bei feinen Damen eben vorkommt, wenn sie ihre Blagen zu schnell hintereinander kriegen.« Als sei damit alles gesagt, nahm sie ihren Korb, in dem ein paar Bierkrüge schepperten, und strebte in Richtung Tür.
Basa packte sie fest so am Arm, dass seine Finger helle Male auf ihrer Haut hinterließen. »Du willst meine Frau doch nicht etwa allein lassen - in diesem Zustand?«
Sarits Haar glänzte schweißverklebt, die Lippen waren aufgesprungen. Erschöpfung und Angst ließen ihre Züge wie erloschen wirken.
Mit einem Schnauben machte die Hebamme sich los.
»Die Götter bestimmen, wann es an der Zeit ist für neues Leben, nicht wir. Schätze, wir werden uns noch gedulden müssen.« Sie zeigte ein aufsässiges Lächeln. »Eigentlich müsste sie ja bereits wissen, wie es geht - beim dritten Mal.«
»Und wofür werfe ich dir mein gutes Silber hinterher?«, fragte Basa scharf.
Sarit, die auf dem zerwühlten Bett vergeblich nach einer bequemeren Lage suchte, kannte den Grund. Die Alte mochte nach Fusel stinken, grobe Hände und einen kaum minder derben Wortschatz haben, aber wenn Basa nicht sie gerufen hätte, dann eben ein anderes billiges Weib.
Irgendeine, die für ein paar Deben Silber zu allem bereit war — sogar dazu, ein Neugeborenes zu beseitigen, wenn es der Vater so schnell wie möglich loswerden wollte.
»Lass sie gehen!«, sagte sie leise, »die Amme kann mir doch beistehen. Schließlich kennt sie sich mit dem Kinderkriegen aus.«
Ein Vorschlag, der ihr alles
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