Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schmetterlingsthron

Der Schmetterlingsthron

Titel: Der Schmetterlingsthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyon Sprague de Camp
Vom Netzwerk:
 
1
     
    »Eine seltsame Sitte«, sagte der Barbar, »alle fünf Jahre den König zu köpfen. Mich wundert, dass Euer Thron überhaupt noch Anwärter findet.«
    Auf dem Gerüst fuhr der Scharfrichter mit dem Wetzstein an seiner schimmernden Axtklinge entlang, ließ den Stein in einen Beutel fallen, starrte mit zusammengekniffenen Augen an der scharfen Schneide entlang und prüfte sie hier und dort mit dem Daumen. Die Zuschauer vermochten sein zufriedenes Lächeln nicht zu erkennen – denn er trug eine schwarze Haube, die nur seine Augen freiließ. Die Axt war weder ein Holzfällerwerkzeug noch eine Waffe; ihr Griff war durchaus normal, doch der blaue Stahlkopf war ziemlich breit, fast wie bei einem Schlachtermesser.
    Das Gerüst erhob sich in der Mitte des Exerzierfelds vor den Mauern Xylars in der Nähe des Südtors. Hier hatte sich fast die gesamte Bevölkerung eingefunden, aus der Stadt wie auch aus den umliegenden Städten und Dörfern. Rings um das Gerüst bildete ein Bataillon Lanzenträger in schwarzen Kettenhemden über roten Röcken eine Viererreihe, um dafür zu sorgen, dass während der Zeremonie kein Unbefugter das Gerüst betrat und dass das Opfer nicht entwischte. Die beiden äußeren Reihen blickten nach außen, die beiden inneren waren der Hinrichtungsstätte zugewandt.
    Um drei Seiten des Gerüstes drängten sich die Würdenträger von Xylar in Rot und Smaragdgrün, in Gold und Weiß; sie saßen auf Bänken. Eine weitere Soldatenkette trennte die Hochgestellten vom gemeinen Volk, welches in seiner braunen Kleidung eine erwartungsvolle Masse bildete, die den größten Teil des Feldes füllte.
    Am westlichen Rand der Plattform drängte die Menge bis zur inneren Absperrung vor. Hier waren zumeist jüngere Männer zu sehen. Außer Hunderten von Arbeitern aus der Stadt und Bauern von den Höfen hatten sich hier auch Angehörige des Adels eingefunden. Verkäufer drängten durch die Menge und boten Kuchen, Früchte, Sardinen, Wein, Bier, Apfelwein, Sonnenschirme und Glücksbringer an. Außerhalb der Zuschauermenge patrouillierten Berittene, die das rote Stundenglas Xylars auf den weißen Umhängen trugen.
    Über der Szene schimmerte an einem wolkenlosen Himmel eine weiße Sonne. Ein böiger Wind bewegte die Blätter der Eichen und Pappeln und Gummibäume, die das Feld säumten, und ließ die rot-weißen Wimpel flattern, die die Mastspitzen an den Ecken des Gerüsts verbanden. Einige Gummibaumblätter hatten sich bereits gerötet.
    Inmitten der Würdenträger sitzend, beantwortete Kanzler Turonus die Frage des Barbaren: »Wir haben noch nie Mühe mit neuen Kandidaten gehabt, Prinz Vilimir. Seht Ihr, wie sich die Leute an der westlichen Seite des Gerüsts drängen?«
    »Wird der Kopf dorthin geworfen?« fragte Prinz Vilimir um seinen Zeigefinger herum, mit dem er eine Faser des eben genossenen Bratens zwischen den Zähnen zu lockern versuchte. Obwohl er glatt rasiert war, wirkte er ziemlich martialisch mit dem hellen, graudurchzogenen Haar und seiner Fellkleidung. Sein Goldschmuck klimperte, wenn er sich bewegte. Er war der Verlierer in einem Machtkampf seines Stammes, den Gendings, und befand sich hier im Exil. Sein Rivale, der zugleich sein Onkel war, herrschte nun über das wilde Nomadenvolk.
    Turonus nickte. »Aye, und der Fänger ist unser neuer König.« Er war stämmig und nicht mehr ganz jung und trug zum Schutz gegen die Kühle des Herbsttags einen azurblauen Mantel. »Der Oberste Richter wird das Ding schleudern. Es ist Vorschrift, dass der König sein Haar lang wachsen lässt, damit der Henker zupacken kann. Einmal hatte ein König sich am Abend vor der Zeremonie den Kopf kahl scheren lassen, und der Scharfrichter musste ihm Löcher in die Ohren schneiden, für eine Schnur. Unangenehm.«
    »Bei Greipneks Bart, ein undankbarer Wicht!« sagte Vilimir grinsend. »Ah … ist das nicht König Jorian?« Der Shvene sprach das Novarische ziemlich fließend, doch mit einem harten nördlichen Akzent.
    »Aye«, sagte der Kanzler, als sich eine kleine Prozession näherte.
    »Er hat mich letzten Monat zur Jagd mitgenommen«, sagte Vilimir, »und kam mir dabei durchaus männlich vor – für einen Sessor.« Er gebrauchte das von den Nomaden der Shven verwendete Wort für einen Nicht-Nomaden, das einen etwas verächtlichen Beigeschmack hatte. »Ich merkte auch, dass er gern redete – vielleicht zu gern für sein eigenes Wohl, aber ganz amüsant.«
    Der Kanzler nickte geistesabwesend. Die Prozession war nun

Weitere Kostenlose Bücher