Jagdszenenen aus Niederbayern
wieder.
Rovo geht in die Wirtschaft und fragt, ob sein Vater schon dagewesen ist. Jeden Tag tut er das. Und jeden Tag sagt die Wirtin: Nein.
Rovo stellt sich vor, wie es ist, wenn der Vater heimkommt. Er weint. Die Wirtin will, daß Rovo aufhört zu weinen. Er soll ein paar von den Kartentricks machen, mit denen er sich manchmal Geld verdient. Er soll aufhören zu weinen. Der Rovo rennt hinaus vor Angst. Er rennt zum Weiher und setzt sich hin. Und wie er auch um sich schlägt, er kanns nicht verhindern. Er schlägt mit der Angel auf die Weide ein. Aber die Flugzeuge werden kommen. Rovo weiß es. Er schwitzt in der Hitze. Und schlägt den Baum. Er versucht, seinen Schatten wegzuschütteln. Er läßt die Angel fallen und keucht den Hügel hinauf, am Haus vorbei, in den Wald hinter dem Hof. Er bricht in die Knie.
»Kyrie eleison, Kyrie eleison!« singt er. Sein Vater hat im Kirchenchor mitgesungen. Die Mutter will, daß der Vater tot ist. Und der Volker will das auch. Und dann halts der Rovo nicht mehr aus.
Er rennt über Moos, über Laub, überspringt ein Wasser und weiter über Moos. Hinaus in die Hitze.
Er wischt sich den Schweiß weg. Die Luft über dem Hof flimmert.
Als ob er brennt.
Er rennt ins Haus. In die Küche. Volker und Maria
haben die Kartoffelsuppe gegessen und sind wieder aufs Feld gegangen.
Rovo schleppt den schweren Futterkessel über den Hof in den Schweinestall, leert den Inhalt in die Tröge
und rennt nach draußen, um die Schweine in den
Stall zu treiben.
Dann sieht er zu, wie die Schweine fressen.
Er stöhnt und tritt von einem Bein aufs andere. Dann rennt er in den Kuhstall.
Im Kuhstall fühlt er sich wohl.
Wenn die Tiere auf dem Feld sind oder auf der Weide,
dann gehört der Kuhstall ihm.
Er setzt sich in einen Haufen Rüben und sieht den Fliegen zu.
Im Kuhstall läßt der Rovo die Fliegen in Ruhe.
3
Sonntags. Hochamt. Die Kirche ist voll. Alle sind da. Sie sitzen nach dem Geschlecht getrennt. Rechts die Männer und links die Frauen. Die Bänke sind alt und schwer. Die Kirchenfenster haben helle Farben. Draußen scheint die Sonne. Es ist noch kühl. In der Nacht hat es geregnet. Der Bürgermeister ist froh darüber. Er hat seine Ernte unter Dach und Fach. In zwei Wochen ist Erntedank. Die Heiligenstatuen schauen von Sockeln an den Kirchenwänden auf die betende Dorfgemeinde. Der Hl. Sebastian mit Pfeilen in der Brust, im Hals, in den nackten Schenkeln und dem schmerzlich süßen Lächeln ist der Schutzpatron der Kirche, und die Gläubigen stehen mit ihm auf du und du. Der Passionsweg des Heilands ist in prunkvollen Gemälden an den Wänden angebracht. Die Kerzen flackern am Hochaltar, die Ministranten klingeln und tragen Bücher hin und her und sind dem Pfarrer mit Handreichungen behilflich. Die Anbetung des Leidens vereinigt die Gemeinde. Weihrauchdämpfe ziehen durch das Kirchenschiff, von denen beobachtet, die gerade an andere Dinge denken.
Das Dach der Kirche war das erste, was nach dem Krieg mit vereinten Kräften wieder hergestellt wurde. Es hatte hereingeregnet. Die Wände waren vom Regen ausgewaschen.
Hauptsächlich Knocherl, der alte Totengräber und Mesner, hat tatkräftig mitgewirkt und ausgemalt und geputzt und beim Dachdecken geholfen. Er hat auch die Passionsbilder abgenommen, verpackt und im Pfarrhaus gelagert, noch während des Krieges. Die Renovierungsarbeiten wurden erst vor zwei Monaten abgeschlossen. Alle sind stolz darauf, daß die Kirche jetzt wieder in Ordnung ist. Knocherl sitzt in einer eigenen Bank am Eingang zur Sakristei. Er hat die Augen geschlossen und hört zu, was der Pfarrer sagt. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Und man soll sein Licht nicht unter den Scheffel stellen. Und man soll Buße tun. Der Knocherl kennt die Texte schon lange. Er denkt daran, wie er den Kirchenraum ausschmücken wird für die Erstkommunion. Der Pfarrer hat eine Sondergenehmigung erreicht, daß die Erstkommunion in diesem Jahr zusammen mit Erntedank gefeiert wird. In der fertigen Kirche. Der Knocherl findet es nicht richtig, daß soviel Geld hinausgeworfen wird für den Schmuck der Kirche. Es gibt genug Leute, die könntens brauchen zum Leben. Er betrachtet die Gemeinde. Soviele Kinder und Frauen und keiner hat Geld. Der Pfarrer hat ihm gesagt, man müsse den Armen auch eine Freude machen und deshalb werden die Girlanden aufgehängt. Die Erstkommunion ist ein Eindruck fürs Leben, und bestimmt freuen sich alle, wenn die Kirche festlicher aussieht als
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