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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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zu sein.

5. Dezember, 1967 Dienstag
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    BATAILLON DES FEINDES IN FALLE VERNICHTEND GESCHLAGEN
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    HANDEL MIT EINEM ZEUGEN IM PROZESS FRANZESE
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    In Jerichow hieß es schon im Dezember 1933, dieser Cresspahl sei ein sturer Hund.
    Hatte der sich doch gleich nach seiner Ankunft aus England verzogen aus den Augen von Jerichow auf das Grundstück, das er dem alten Papenbrock aus den Knochen geleiert hatte, und baute an seiner Scheune. Kam in aller Morgenfrühe aus Papenbrocks Haus, war kurze Zeit auf dem Marktplatz zu sehen und verschwunden. Denn er wandte sich nicht auf die Stadtstraße, die nun Adolf Hitler-Straße hieß, sondern machte den Umweg an der Schule vorbei und ging durch die Bäk bis ans Ende und dann auf dem Ziegeleiweg wieder zurück. Keinen Abend mehr kam der in Wulffs Krug, auf dem Markt ließ der sich nicht anhalten, und es war gar nicht ausgemacht, was der so dachte.
    Es hieß, daß die Cresspahlsche Ehe am Ende doch nicht der Maßen Hand und Handschuh war. Denn kaum hatte der Mann seine Scheune winddicht, fing der an, da zu schlafen, und seine Frau lag bei Papenbrock unter dem Dach. Andererseits sagten sie, das täten sie auch, wenn man ihnen in einer stillen Nacht die Werkzeuge geklaut hätte wie Cresspahl. Wollten sie wohl sagen.
    Darum sagten andere, man müsse doch bloß hinsehen. Sieh dir das an, wie Lisbeth jeden Mittag um zwölf aus Papenbrocks Tür kommt mit dem zugedeckten Henkelkorb und ihn wie ein Dienstmädchen durch die Stadtstraße, na, die Adolf Hitler-Straße trägt. Ist doch wahr, kann sie Edith machen lassen. Tut sie aber nicht, will dem Mann beim Essen zusehen, gehört sich auch so für eine Ehefrau. Es hieß, und Inge Schürmann hatte es sogar eines Morgens, und zwar mit eigenen Augen, gesehen, daß Cresspahl auf dem Weg zur Arbeit zu Semig ins Haus ging und daß die beiden gleich danach in Semigs neuem Auto die Bäk hinunterfuhren, die paar Schritte bis zur Ziegelei. Konnte das sein, daß Arthur dem das Fahren beibrachte? Der konnte doch fahren. War es möglich, daß ein studierter Tierarzt mit anfaßte bei Cresspahls Bauarbeiten? Das war doch nicht möglich! Aber Cresspahl hatte in das zum Weg gelegene Tor eine neue Tür gesetzt, handfest wie für eine Kirche, da brach das härteste Messer ab, und das Licht hatte er sich hineingeholt durch die Ausglasung des südlichen Tors, wo eben ein Spaziergänger schon auffiel und nach seiner Bewandtnis gefragt wurde. Das muß ja nicht sein, das war ja nun unangenehm. Und es waren ja nun zwei die da standen und Einen groß ansahen, Cresspahl und Arthur Semig.
    Deswegen hieß es auch, Cresspahl sei ein großbritannischer Spion, der dem Führer und Reichskanzler Hitler an den Kragen wolle. Andere sagten, Seine Gute Britische Majestät Georg der Fünfte sei gar kein Jude und eng mit dem Österreicher befreundet. Und überhaupt hatte Cresspahl sich ins Benehmen gebracht mit der Tischlerinnung in Gneez, und er war in die Handwerksrolle in Schwerin eingeschrieben, stand doch in der Zeitung. Da steht viel. Einige wollten das lieber nicht glauben und hielten mehr davon, daß Cresspahl sich einen feindlichen Rundfunksender baute, damit er abends sich mit den Engländern unterhalten konnte. Denn warum hatte der sich Draht aufs Scheunendach gezogen? Ein gewöhnlicher Blitzableiter war das nicht. Und neulich waren auf der Bahn zwei Rollen Draht für ihn angekommen. Wozu braucht der Mensch die Mengen Draht, Rundfunk, sage ich dir. Nee. Die braucht er für einen Zaun, damit du nicht mehr so dicht rankommst, wenn du ihm die Fensterscheiben einschmeißen willst. Wir wollen mal sagen, wir sehen hier keinen an. Und ein sturer Hund ist dieser Cresspahl doch.
    Setzt die Scheiben einfach neu ein, mit eigenen Händen. So ist das nicht, daß der einem anderen Handwerker was zu verdienen gibt, wenn nicht große Not am Mann ist. Und was sollte Heini Freese machen, Glasermeister in Jerichow? Die Arbeit bekam er nicht, aber das Glas mußte er Cresspahl doch verkaufen, bloß um wenigstens diesen Verdienst zu kriegen. Frag die Maler, frag Bauunternehmer Köpcke, und sie werden dir offen und

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