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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Blick so unverwandt auf den Flammen, als hörte sie nicht zu, oder doch nur einem von ihren Gedanken.
    – Aus Neugier.
    – Neugier mit eigenem Schaden hinterher?
    – Es mußte nicht gleich der eigene sein.
    – Herr und Frau Maaß, Markt 14.
    – Solche. Und wenn ihnen nicht selber etwas zustieß, konnten sie erzählen hören von anderen.
    – Und nur um zu sehen, ob die Gerüchte gestimmt hatten?
    – Ja, und aus einer anderen.
    – Keine Neugier für Kinder: stellte Marie fest.
    – Vielleicht. Weil ich die Worte dafür nicht weiß, eher.
    – Und wegen eurer Juden. Sechs Millionen.
    – Wie kannst du so reden, Marie!
    – Mit dir doch. Sie warteten auf die Quittung.
    – Ja. Obwohl sie jene Nachrichten nicht glaubten.
    – Wollten nun wissen, wie die Quittung ausfiel.
    – Ja.
    – Wie immer.
    – Ja!
    – Also doch Neugier: sagte sie.

    Die Leute in Jerichow, ob Wohnberechtigte oder Flüchtlinge, blieben wegen des Daches über dem Kopf, mochte es das eigene sein oder ein geliehenes. Ohnehin ließen die Briten vom 2. Juli an niemanden mit Hausrat mehr über den Travekanal, ihre neue Grenze, da mußte einer schon ohne Gepäck schwimmen. Wulff blieb nicht nur wegen seiner Gastwirtschaft mit angeschlossener Gemischtwarenhandlung; er war auch Mitglied einer verbotenen Partei gewesen (Sozialdemokraten), wehrunwürdig obendrein, und wenn er nicht gerade Belohnung erwartete, so mochte er auf geschäftliche Gerechtigkeit vertrauen. (– Neugierig war er: sagte Marie.) Von Papenbrock war inzwischen zu ahnen, was ihn hielt. Mein Vater blieb, weil die Briten ihn zum Bürgermeister gemacht hatten und er die Amtssachen nach der Ordnung übergeben wollte. Und zumindest die Einheimischen vertrauten auf den Anblick von Jerichow.
    Denn was konnten die Fremden sehen an dieser kleinen Stadt weitab von den Straßen, mitten in einem Landwinkel an der Ostsee, und nicht einmal im Besitz eines Hafens? Von woher sie auch kamen, von weitem sahen sie bloß ein niedriges Gemenge geringfügiger Häuser. Der Bischofsmützenturm, so hoch er stehen mochte, so dicht er eingewickelt sein mochte vom Laub sechshundertjähriger Bäume, er war ein Zeichen vergangenen Reichtums, nicht für gegenwärtigen. Sie mochten die Schlösser Mecklenburgs gesehen haben, großstädtische Prunkstücke in Parks, sie waren wohl entlangmarschiert zwischen den Geschäftshäusern der Vorderstädte, Beweisen aus der Kaiserzeit; in Jerichow fanden sie wenig Bauten, die ein Stockwerk überstiegen. Wenn sie verputzt waren, so hatte die Kriegswirtschaft große Löcher über den Ziegelsteinen reißen lassen, und in den Fachwerkbauten hatte das Holz zu lange schon warten müssen auf Farbe, und auf Karbolineum sogar. Worauf kamen die Siegesberechtigten denn angefahren? nicht auf Asphalt, sondern auf einem holprigen Pflaster aus Katzenkopfsteinen, und am Rande war nicht einmal ein blaubasaltener Doppelstreifen für Fahrräder eingesetzt (passend zu dem Gerücht von der Ungeschicklichkeit der Sieger mit Fahrrädern). Blieb die Ziegeleivilla, in die hatten sie ihre Kommandantur gesetzt. Das Stadthaus derer von Lassewitz, jetzt Papenbrocks, hatten sie rückwärts gehend wieder verlassen, als sie in allen Zimmern Flüchtlinge versammelt sahen (so daß an ihrer angeblichen Furcht vor Seuchen etwas Wahres sein mochte). In Lindemanns Lübecker Hof hatten die Engländer ihren Club unterhalten, sollten die Sowjets da ihren eigenen Namen anbringen. Der Marktplatz mochte für Uneingeweihte um ein Weniges zu geräumig erscheinen; womöglich würde da manch ein Besitzer von Dreistöckigem an Enteignung glauben müssen. Daneben mußte den Sowjets die kreisfreie Stadt Jerichow also erscheinen als ein gleichmäßiges Gelände voll Armut, in dem sie nichts zu plündern hatten, weil ihnen nichts gezeigt wurde.
    Bis zum Sonntag nach dem Einmarsch der ersten Sowjets, bis zum Abend des 8. Juli, wurde nur ein einziges Gerücht wahr. Bei Otto Quade, Klempnerei und Installation, war ein Rotarmist in den Laden eingedrungen und hatte über die niedrige Trennwand auf eine Attrappe aus Vorkriegszeiten gedeutet. – Wassergahn: hatte die Rote Armee zu Bergie Quade gesagt. Bergie, nach allen Rezepten ältlich angezogen, schmutzig im Gesicht, einen mit Hühnermist beschmierten Unterleibsverband unterm Rock, hatte mit Quadescher Geistesgegenwart zur Antwort gegeben: sie denke nicht daran, ins Wasser zu gehen. Habe sie gar nicht nötig. Wenn er aber wissen wolle, wer hier alles ins Wasser gegangen sei, ob

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