Jahrmarkt der Unsterblichkeit
und stieß dann ins ruhige, sonnenbeschienene Meer. Noch immer standen die beiden an der Reling und sprachen nichts. Doch Sears sah, wie Clarys Augen sich an das Vorgebirge klammerten, während sie drehten, und auf dem grünen Tal ruhten, das sich wie ein Schwert durch die Hügel bohrte und auf Jesreel und den uralten Erdhügel von Beth-Shean zeigte.
Auch Sears selber wandte sich, um auf das Land und den Himmel, die Täler und Hügel zurückzublicken, und er spürte einen seltsamen Schmerz in der Kehle und ein Verlangen im Herzen. Und noch während er schaute, erkannte er, daß der Zauber Palästinas ihn wieder erfaßt hatte.
Er sah die Küste und die Höhen dahinter, die sich in der flimmernden Hitze ins Blau hinaufreckten. Dort, weit nach rechts, standen die zackigen Zinnen von Judäa, hinter denen Jerusalem lag; in den Tälern verborgen waren die Plätze der uralten Helden — Simson, Saul und David, die gekämpft, gesündigt und bereut hatten, die gestrauchelt und gefallen waren und am Ende stets zu Gott zurückkehrten.
Und während Sears auf dieses Land hinausblickte, dachte er, daß dort die Anfänge des menschlichen Gewissens schlummerten, daß dort und dort allein es so gewesen war, daß der Mensch sich wiederfinden konnte und das festzuhalten vermochte, was er gefunden hatte.
Seine Lippen formten leise die Worte «Naphtali» und «Galiläa», während er nach den dunklen Hügeln und Spitzen in der Lerne schaute und an Hannah dachte, die geläutert von all der Finsternis, die sie so lange gefangengehalten hatte, in dem kühlen Hain von Ain Tabigha schlief; und als er an sie dachte, stellte er zu seinem Erstaunen fest, daß er nur ihre Hände sah, die so lange zu Fäusten verkrampft gewesen waren und nun offen und entspannt dalagen, wie er sie am Ufer des Galiläischen Meeres in ihrem Schoß gesehen hatte. Der Gedanke an sie brachte ihm ein Gefühl des Friedens.
Und als er auf das endlose Geheimnis der Berge hinausblickte, stellte er fest, daß er sich auch Ben-Isaak und Dr. Levi wieder in all ihrem Glanz und ihrer Kraft in dem dramatischen Abenteuer vorstellen konnte. Dort im Norden, hinter den Klüften von Naphtali, lag der Hermon, wo der Junge den Steilhang der wilden Schlucht erklettert und sich angesichts des Todes lachend und sorglos mehr als Schlachtengott denn als Mensch erwiesen hatte. Er dachte wieder an die Nachtwache, als er mit Ben-Isaak über dessen Onkel sprach, der auf einen Berggipfel stieg, um mit Gott zu reden, und das Bild war nun weder seltsam noch überspannt.
Der Hermon war da, in der Tiefe verborgen, doch sein Geist sah ihn mit seinen mächtigen Schneehängen, dem dreifachen Gipfel, und er fühlte den Zauber und die einzigartige Größe, die dieses Gebirge umgaben. Dieser Berg hatte mit angesehen, wie der Mensch Gott entdeckte und an ihn glaubte.
Es war Gottes Gebirge. Die Schrift und die Trachtion berichteten, daß Gott und sein Sohn dort ein Gespräch miteinander geführt hatten. Er, Joe Sears, war geflohen, heulend wie ein Tier hatte er sich in eine dunkle Höhle in den Eingeweiden dieses Massivs verkrochen. Dort hatte er den Menschen gefunden, der er selbst war. Er wünschte, er brauchte nicht abzureisen. Er wünschte, er könnte den Hermon noch einmal sehen; auf diesem Berg waren sie alle Gott nähergekommen; aber wenn es das dort gab, würden sie ihn auch woanders immer erreichen können.
Er sah Clarys Blick, der stetig und nachdenklich auf all das zurückschaute, was von Israel geblieben war und nun in der funkelnden See versank.
Er wandte sich zu ihr und sagte: «Das ist etwas, woran man sich halten kann, nicht wahr?»
Er bekam seinen Lohn in den Tränen, die ihr endlich in die Augen traten, in dem Zittern ihrer Lippen und in der Art, wie sie sich in seinen Arm hängte und sich mit liebender Verzweiflung an ihn drängte, als ob auch er etwas wäre, woran man sich halten konnte — etwas, was wie die Erinnerungen an Israel ihre Stütze sein würde in der schweren Zeit, die vor ihnen lag.
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